Der Hund und sein Philosoph
Buchvorstellung von Julia Brunke
Die Freundschaft mit Kuksi, einem ausgesetzten Hund, den er vor sechs Jahren aus dem Tierheim zu sich nahm, inspirierte Dr. Dr. Martin Balluch zu seinem neuen Buch Der Hund und sein Philosoph . Anhand von Erlebnissen und Anekdoten aus dem Zusammenleben mit seinem Hundefreund macht Martin Balluch deutlich, dass Tiere fühlen, denken, kommunizieren - sowohl mit anderen Tieren als auch mit uns Menschen - und dass sie über Selbstbewusstsein verfügen und autonom handeln. Sein Plädoyer für Autonomie und Tierrechte ist unterhaltsam und fesselnd im Erzählstil geschrieben: Jeder, der mit Tieren zusammen lebt, wird sich bei diesen Schilderungen an ähnliche Erlebnisse und Beobachtungen erinnern. Als Naturwissenschaftler stellt Martin Balluch seine Erfahrungen mit Tieren in Zusammenhang mit wissenschaftlichen Fakten: Die Forderung nach Autonomie von Tieren in unserer Gesellschaft wird umfassend naturwissenschaftlich und philosophisch begründet.
Die Metaphysik der Sitten des Philosophen Immanuel Kant bildet die Grundlage des seit über 200 Jahren geltenden Zivilrechts, in dem der Mensch ein Zweck an sich und das Tier nur Mittel zum Zweck ist. Das neue Buch von Martin Balluch stellt Kants Sittenlehre vor dem Hintergrund moderner naturwissenschaftlicher Erkenntnisse in Frage. Gleichzeitig nützt der Autor Kants Argumentationsweise, um auch für Tiere Rechte und einen Personenstatus zu fordern: Ich denke, mit dem heutigen Wissen über Tiere ist diese Schlussfolgerung unumgänglich .
Einsatz für Tierrechte
Martin Balluch setzt sich seit über 25 Jahren für die Rechte der Tiere ein. Für dieses Engagement gab er eine glänzende Karriere als Wissenschaftler auf: Nach seiner Dissertation in mathematischer Physik 1989 war er von 1990 bis 1997 als Universitätsassistent im Institut von Stephen Hawking an der Universität Cambridge tätig. 1997 kehrte er in sein Heimatland Österreich zurück, um sich im Verein gegen Tierfabriken zu engagieren, dem er seit 2002 als Obmann vorsteht.
Seine wissenschaftliche Forschung und Arbeit gab er nicht auf: 2004 verfasste Martin Balluch seine zweite Dissertation, diesmal in Philosophie an der Universität Wien zum Thema Tierrechte. Es war mir ein großes Anliegen, dieses Thema in einer seriösen und wissenschaftlichen Weise in die akademische Welt zu tragen , berichtet er. Inzwischen sind Tierrechte in Philosophie und Biologie an Universitäten nicht mehr wegzudenken.
Auch die politischen Erfolge des Vereins gegen Tierfabriken waren beachtlich:
1998 Schließung aller Pelztierfarmen in Österreich
2002 Verbot von Wildtieren in Zirkussen
2004 Einstimmiger Entschließungsantrag der Parlamentsparteien,
Tierschutz als Staatsziel in der Verfassung zu verankern
2004 Verbot der Käfighaltung für Hühner in Österreich
2006 Verbot von Tierversuchen an Menschenaffen
2007 Verbot der Käfighaltung von Kaninchen (zur Fleischgewinnung)
Der Tierrechtsprozess
Offenbar gingen bestimmten Interessengruppen diese Erfolge zu weit: 2008 wurden Martin Balluch und neun weitere Tierrechtsaktivisten mitten in der Nacht von einem bewaffneten Sondereinsatzkommando verhaftet. Der Vorwurf: Balluch sei verdächtig, Chef einer kriminellen Organisation zu sein, die eine Tierrechtsrevolution plane. 105 Tage war er in Untersuchungshaft eingesperrt. Die Festnahme führte international zu massiven Protesten.
Gemeinsam mit 12 anderen Tierschützern stand der VGT-Obmann vom 2. März 2010 bis 2. Mai 2011 im Landesgericht Wiener Neustadt vor Gericht. Die Besonderheit des Verfahrens war, dass Martin Balluch und einigen anderen Angeklagten dabei keine konkreten Straftaten, sondern bloß die indirekte Förderung und Unterstützung von unbekannten Straftätern durch legale Tierschutzarbeit vorgeworfen wurde.
Mit dem Urteil vom 2. Mai 2011 wurden alle 13 Angeklagten von sämtlichen Vorwürfen in allen Punkten freigesprochen. Bislang wurde allerdings keiner der Tierschützer entschädigt stattdessen sind Martin Balluch und die anderen Tierschutzaktivisten durch die hohen Kosten des Verfahrens finanziell ruiniert.
Hund Kuksi aus dem Tierheim aufgenommen: Für uns beide begann ein neues Leben
Nachdem Martin Balluch aus der U-Haft entlassen worden war, nahm er sich vor, wieder einen Hund aus einem Tierheim aufzunehmen: So lange in einer Zelle zu sitzen, machte mir bewusst, wie schrecklich es ist, unschuldig seiner Freiheit beraubt zu werden. Ich fand meinen Freund Kuksi im Tierparadies Schabenreith in Oberösterreich. Er war zwei Monate davor an einer Autobahnraststation ausgesetzt worden. Für uns beide begann ein neues Leben.
Für das Zusammenleben haben sich Mensch und Hund gemeinsam Regeln erarbeitet, an die sich beide freiwillig halten. Ein Beispiel: Bevor er zu mir ins Bett kommt, fragt Kuksi, ob mir das passt. Ich betrete sein Bettchen auch nicht, ohne dass er das will. Diese Regel respektiert Kuksi konsequent - außer wir streiten. Dann kann es durchaus sein, dass er bewusst die Regel bricht, um seinen Protest zu deponieren. Doch als sozial kompetentes Wesen ist ihm danach eine baldige Versöhnung wichtig.
Eine weitere Regel ist, dass Kuksi keine Tiere jagen soll. Immerhin hat er Gene von Bracken, also Jagdhunden, in sich. Kuksi hat anfänglich Tiere getötet, einmal eine Maus und in einem Lemmingjahr in Skandinavien mehrere dieser Nager. Ich habe ihm damals mein Missfallen und meine Verzweiflung darüber mitgeteilt. Es scheint ihm nun wichtiger zu sein, mich nicht emotional zu verletzen, als einer etwaigen Jagdpassion nachzugehen.
Soziales Zusammenleben und Kommunikation
Hat Kuksi eine gemeinsame Regel gebrochen, zum Beispiel wenn er beim Spiel zu wild geworden ist, schaut er schuldbewusst und entschuldigt sich später auch. Zwar wird in der Literatur immer wieder bezweifelt, dass Hunde zu einem Schuldgefühl in der Lage seien, aber dieser Zweifel wird damit begründet, dass sie sich vor Strafe fürchten würden , schreibt Balluch. In unserem Fall kann das nicht zutreffen, weil sich Kuksi weder vor mir fürchtet noch je bestraft worden ist. Er hat die Regeln unseres sozialen Zusammenlebens verstanden und fühlt sich unwohl, wenn er sie bricht, aber nicht aus Angst, sondern weil er ungern sozialen Unfrieden schafft, wie die meisten sozialen Wesen. In unserem Fall bedeutet das aber auch, dass Kuksi sich bewusst ist, eine Regel gebrochen zu haben.
Hund und Mensch kommunizieren emotional, sowohl durch den Tonfall als auch durch die Körpersprache: So wie ich aus seinem Verhalten und seinen Lautäußerungen ablesen kann, wie es ihm geht, so auch umgekehrt. Dafür brauche ich nicht wie ein Hund zu agieren und er nicht wie ein Mensch. Durch unser enges Zusammenleben verstehen wir uns diesbezüglich sehr gut.
Für den Hund Kuksi ist es von größter Wichtigkeit, dass sein Freund Martin, wenn er mit ihm spielt, auch richtig bei der Sache ist: Sollte ich beim Stocki-Werfen telefonieren oder beim spielerischen Raufen mit anderen sprechen, wird er zunehmend ungeduldig und bricht das Spiel unter Umständen auch ab. Dass ihm mein Bewusstseinszustand, in diesem Fall meine innere Anteilnahme an unserem Spiel, wichtig ist, belegt, dass er von einem Bewusstseinszustand bei mir ausgeht, mein Verhalten psychologisch interpretiert und mich als handelndes Subjekt und nicht als Objekt wahrnimmt. Ginge es nur um die Handlung per se, müsste Stocki-Werfen Stocki-Werfen sein, egal was ich dabei denke. Ist es aber nicht und daraus ist eine Intentionalität und ein gewisses Selbstbewusstsein seinerseits ableitbar.
Dass Kuksi auch über sein eigenes Handeln reflektiert, zeigt Martin Balluch anhand eines Experiments, das er einige Male wiederholt hat und das immer funktioniert: Wenn er einfach immer das nachmacht, was der Hund gerade tut - gähnen, die Tatzen in einer gewissen Weise halten, sich kratzen - wird Kuksi langsam ärgerlich. Das zeigt, dass er völlig versteht, dass ich ihn gerade nachahme, was wiederum nur möglich ist, wenn er sich bewusst ist, was er gerade tut.
Mensch und Hund - beide sind soziale Wesen und leben gleichzeitig ihre Autonomie. Der Mensch ist in dieser Beziehung weder das Alphatier noch der Elternteil, der Hund kennt keinen Gehorsam, keine Befehle und keine Leine. Kuksi ist kein Anhängsel, kein Befehlsempfänger, keine Biomaschine, sondern ein eigenständiges Wesen. Er gestaltet die Regeln des gemeinsamen Lebens mit, er hilft in Not und bezähmt seine Affekte, wenn ihm höhere Werte, wie die gemeinsame Beziehung, wichtiger sind.
Balluch schließt daraus, dass eine Revision des Mensch-Tier Verhältnisses nötig wäre. Tiere gelten seit der Aufklärung nach dem Gesetz als Sachen. Dem stellt der Autor die Vision einer Multi-Spezies Gesellschaft gleichberechtigter Wesen gegenüber.
Gemeinsame Ausflüge in die Wildnis
Seit seiner Jugend sucht Martin Balluch für Wochen und Monate die Wildnis auf: ob alpine Bergwelt oder Tundra, stets begleiteten ihn seine Hunde. In der Wildnis, fernab von jeglicher Zivilisation, begegnen sich Mensch und Hund als Gleiche: Zwei autonome Wesen, die aufeinander Rücksicht nehmen, aber grundsätzlich gleichberechtigt sind.
Wenn ich mit meinem Hundefreund in der Wildnis unterwegs bin, verstummt bald die Stimme in meinem Kopf. Ich denke, ohne zu sprechen - wie die Hunde auch. Entscheidungen, in welche Richtung wir als Nächstes weitergehen, wo wir unseren Lagerplatz aufschlagen oder welche Route durch die steilen Felsen die sicherste ist, werden ohne Worte getroffen. Abgesehen davon kommunizieren wir ständig und verstehen uns sehr gut. Die Hundeseele ist für mich keine fremde Welt, zumeist kann ich sehr klar nachfühlen, was mein Freund gerade empfindet und umgekehrt. Wir können uns blind aufeinander verlassen. In der Natur wird uns letztlich klar, dass wir gar nicht so verschieden sind.
Aus diesem Zugang heraus ergibt sich für Martin Balluch als Philosoph ein ganz anderes Weltbild: Die Aufklärung habe den Menschen in den Mittelpunkt gestellt und es sei zweifellos ein großartiger Fortschritt, alle Menschen als Gemeinschaft aufzufassen. Doch die Gemeinsamkeit wurde durch die Abgrenzung von den Tieren erkauft, zu deren Leidwesen.
Der Autor verweist darauf, dass Immanuel Kant (1724 1804) eine moralische Verpflichtung des Menschen darin sehe, sich von der Natur loszusagen und in der menschlichen Gemeinschaft zu organisieren, um Freiheit erst zu ermöglichen. Die Wildnis sei ein ständiger Kampf ums Überleben, grausam, brutal, kurzlebig. Allerdings hatte Kant keinerlei Naturerfahrung, zeit seines Lebens kam er aus Königsberg nicht heraus.
Martin Balluch, der sich um die 100 Tage pro Jahr aus seinem beruflichen und sozialen Alltag abzweigt, um die Wälder, die Berge oder die Tundra zu betreten, erlebt die Natur als ganz anders: Von den unzähligen Tagen, die ich draußen verbracht habe, kann ich jene Vorfälle, in denen ich Gewalt und Leid sah, an den Fingern einer Hand abzählen. Wie oft beobachtete ich Gämsenherden friedlich grasen, Steinbockkinder fröhlich spielen, Bärenfamilien durchs Unterholz streifen, Füchse in der Sonne liegen, Dachse im Boden wühlen und Raben im Paarflug durch die Luft rauschen. Keine Gewalt, sondern schiere Lebensfreude, soziale
Beziehungen, Vertrauen, Kooperation. Die tägliche Aktivität der Wildtiere wirkt befriedigend, symbiotisch und partnerschaftlich. Das Sozialleben ist fast ausschließlich friedlich, die Kämpfe zwischen Steinböcken oder Hirschen sind ritualisiert und haben in meiner Erfahrung immer ohne Verletzungen geendet.
Tiere sind intentional handelnde Wesen mit bewusst erlebten Gefühlen
Für den französischen Philosophen Descartes (1596-1650) galten Tiere lediglich als Biomaschinen: Ihre Schmerzensschreie bedeuten nicht mehr als das Quietschen eines Rades! Descartes ging davon aus, dass Tiere nur durch Instinkte und Reflexe angetrieben würden. Sie hätten keine bewusst erlebten Gefühle und keinen Verstand. Tiere könnten nicht sprechen und damit nicht denken.
Diese Vorstellung findet sich bis heute in der wissenschaftlichen Literatur: Weil Tiere keine Sprache hätten, seien sie auch zu keinen Überzeugungen und daher zu keinem intentionalen Handeln fähig.
Der Autor weist anhand seiner eigenen Erfahrungen mit Tieren sowie der wissenschaftlichen Fachliteratur nach, dass Gedanken auch nichtsprachlich sein können. So können nichtsprachliche Gedanken auch in Form von Bildern existieren (beispielsweise wenn man sich mental vorstellt, ob ein Schrank in eine bestimmte Ecke passen könnte) oder durch Hineinversetzen in andere: Immer wieder beobachtet Martin Balluch im Zusammenleben mit Kuksi - besonders wenn er mit ihm in der Wildnis unterwegs ist -, dass sie beide in derselben Situation ähnlich reagieren. Er schließt daraus, dass die mentalen Vorgänge, die beider Handlungen zugrunde lagen, ebenfalls gleich sind. Ich denke, es wäre unmöglich, mit Kuksi eine so enge Beziehung einzugehen, wie ich das tue, ohne ihn psychologisch zu interpretieren und ihm mentale Zustände zu unterstellen , schreibt er. Umgekehrt behandelt Kuksi auch mich als intentional handelndes Wesen. Eine soziale Gemeinschaft kann gar nicht auf andere Weise entstehen. Und weiter: Für Kuksi sind meine Emotionen und Intentionen so wichtig wie seine für mich. Er hat eine hohe soziale Intelligenz und kann aus den feinsten Nuancen meiner Körpersprache mehr über mich herauslesen, als mir oft selbst bewusst ist.
Das soziale Selbstbewusstsein umfasse die Fähigkeit, seine eigene Rolle in der Gemeinschaft zu verstehen: Kuksi schützt und tröstet mich, hilft mir, wenn er der Meinung ist, ich bin in Not, und freut sich, wenn ich fröhlich bin. Er ist ein durch und durch soziales Wesen, das sich ganz wesentlich als Teil einer Gemeinschaft begreift.
Der Autor berichtet, wie er seinem Hund einmal ein großes Stück Tofu abbrach - für Kuksi ein absoluter Leckerbissen - und ihm hinhielt. Mit großer Begeisterung schnappte er danach und erwischte dabei die Finger. Da Martin Balluch Kuksis Begeisterung verstand, sagte er kein Wort, sondern lediglich Au! und schüttelte kurz seine Hand. Das nächste Stück Tofu nahm Kuksi nun mit allergrößter Zärtlichkeit, ohne mich auch nur im Geringsten mit seinen Zähnen zu berühren. Trotz seiner Begeisterung für den Tofu hielt er sich bewusst zurück, weil er mich nicht verletzen wollte.
Diese Begebenheit ist deshalb so interessant, weil Kuksi sich völlig entgegengesetzt verhielt, wie es Behaviorismus und das Reiz-Reaktionsmodell vorhersagen würden: Durch die weitere Gabe einer Belohnung nach dem Schnappen in den Finger hätte Kuksis Schnappen positiv verstärkt werden müssen. Kuksi war nicht im Geringsten negativ konditioniert worden, das Handschütteln und die kurze Lautäußerung Au waren nicht einmal auf ihn gerichtet gewesen. Dennoch änderte der Hund vollständig sein Verhalten. Die einfachste Erklärung dafür scheint zu sein, dass Kuksi mich als Subjekt und nicht als Reiz wahrnimmt , so Balluch.
Tiere haben nach wie vor keine Rechte
Die Freiheit des Menschen stand für Kant im Mittelpunkt seiner Metaphysik der Sitten. Moralisches Handeln hieß für ihn, die Autonomie aller anderen nach Möglichkeit zu respektieren. Auf Grundlage der Kant"schen Metaphysik der Sitten entstand vor mehr als 200 Jahren das heute gültige Zivilrecht, die Grundlage des Zusammenlebens der Menschen untereinander. Ohne Zweifel war der Rechtsschutz für Menschen vor 200 Jahren ein großer Fortschritt. Die Tiere hingegen haben nach wie vor keine Rechte, obwohl sie in Österreich seit 1989 laut 285a Bürgerliches Gesetzbuch keine Sachen mehr sind. In Deutschland trat 1990 der 90a Bürgerliches Gesetzbuch in Kraft, der besagt, dass Tiere keine Sachen sind und durch besondere Gesetze geschützt werden. Dennoch ist es nach wie vor eine Sachbeschädigung , wenn ein Jäger beispielsweise einen Hund erschießt.
Und: Das Eigentumsrecht schützt die Ausbeutung der so genannten Nutz -Tiere. Der Umgang mit ihnen wird ausschließlich durch das Profitmaximierungsprinzip bestimmt , schreibt Balluch. Die Zucht wird weiter von Jahr zu Jahr tierquälerischer, indem sie noch mehr Leistung aus den Tierkörpern herauspresst. Und auch die Tierfabriken und Schlachthöfe werden größer und größer.
Das Tierbild aus dem 16. und 17. Jahrhundert ist von der Wissenschaft längst überholt
Dabei ist die Grundlage des Mensch- und Tierbilds aus dem 17. und 18. Jahrhundert, in der das Tier von der Philosophie der Aufklärung als gefühllose Biomaschine gesehen wird, längst von der Wissenschaft überholt: Nach den Kriterien der modernen Naturwissenschaft gilt die Existenz von Bewusstsein bei Tieren als bewiesen. Auch die subjektive Leidensfähigkeit, zumindest der Wirbeltiere, wird nicht mehr bestritten. In der Folge wird vielfach eine humane Nutzung von Tieren gefordert. Doch am Ende auch einer noch so humanen Nutzung steht der gewaltsame Tod. Doch der Tod ist der größte Schaden für ein Lebewesen mit Bewusstsein. Hinzu kommt: Die Freiheit ist das höchste Gut eines autonomen Wesens. Eingesperrte Tiere versuchen alles, um in Freiheit zu gelangen. Nur in der Freiheit können sie selbst Entscheidungen treffen und die Fähigkeiten und Bewusst seinsaspekte entfalten, die ihr Wesen ausmachen.
Die Freiheit, die das Bewusstsein mit sich bringt, ermöglicht es den Tieren, sich selbst Zwecke und Regeln zu setzen, an die sie sich halten, auch wenn ihre hedonistischen Wünsche und Affekte ihnen anderes nahe legen , so Martin Balluch. Er macht dies wieder am Beispiel seines Hundes deutlich: Kuksi hält sich an die Regeln des Spiels mit einem Partner, auch wenn er im Eifer fester zubeißen will. Er toleriert die Eskapaden von Hunde- und Menschenkindern und geht sehr vorsichtig mit ihnen um, auch wenn sie ihm auf die Nerven gehen oder sogar wehtun. Er jagt keine Rehe im Wald, obwohl er einen starken Impuls danach spürt. Er läuft nicht über die Straße zu einem anderen Hund, auch wenn er große Lust darauf hätte. Denn: Er stellt unsere Beziehung über alle Affekte, die ihn antreiben.
Es wird Zeit für ein Recht auf Autonomie für Tiere
Autonomie ist das höchste Gut, an dem sich die Moral zu orientieren hat. Die Geschichte der letzten Jahrhunderte war ein ständiger Kampf um Selbstbestimmung: die Selbstbestimmung der Bürger gegenüber Adel, Klerus und absolutistischer Herrscher, die Gleichberechtigung und Selbstbestimmung von Schwarzen und von Frauen.
Kant definierte Autonomie als Freiheit der Entscheidungen durch die Vernunft. Ersetzt man Kants engen Begriff der Vernunft durch ein weiter gefasstes Bewusstsein, ergibt sich ein Recht auf Autonomie, das auch für Tiere gilt. Und so leitet Martin Balluch aus der Kant"schen Philosophie die Forderung nach Gleichberechtigung von Menschen und Tieren in der Gesellschaft ab.
Tiere sind Lebewesen mit Autonomie, nicht nur fühlende Biomaschinen , so Martin Balluch. Die Zeit ist reif. Nie war es leichter, auf eine rein pflanzliche Ernährungsform und Lebensweise umzusteigen. Und nie war es notwendiger. Dies wäre auch für das Bewusstsein der Menschen und ihre moralische Entwicklung ein gewaltiger Fortschritt: Ohne diese Beteiligung am Tiermissbrauch werden die Menschen in der Lage sein, ihre Spiegelneuronen zu aktivieren, um die Empfindungen der Tiere mitzufühlen.
Ein höheres Maß an Empathie gegenüber fühlenden Wesen würde das Zusammenleben auf unserem Planeten insgesamt friedlicher machen.
Ein Leben für Tierrechte
Dr. Dr. Martin Balluch, geboren 1964 in Wien, studierte Philosophie, Mathematik und Astronomie. Nach Diplomen in Mathematik und Astronomie mit Auszeichnung, ging Martin Balluch an die Universität Heidelberg und schrieb dort seine Dissertation in mathematischer Physik, die er 1989 Magna cum Laude abschloss. Anschließend arbeitete er an der Universität Cambridge in England am Institut für Applied Mathematics and Theoretical Physics. Insgesamt war Martin Balluch an den Universitäten Wien, Heidelberg und Cambridge 12 Jahre lang als Universitätsassistent und Forscher tätig und veröffentlichte 18 wissenschaftliche Publikationen. |
Ausgehend von der engen Beziehung zu seinem Hund, entwickelt Martin Balluch eine leicht lesbare Tierrechtsethik, die im zentralen Begriff der Autonomie gipfelt. Dass er sich dabei am Kant"schen Postulat der ausschließlich dem Menschen zugestandenen Rationalität abarbeitet und dieses schlüssig in sein Gegenteil verkehrt, gehört zu den eindrucksvollsten Erkenntnissen des Textes.
Martin Balluch:
Der Hund und sein Philosoph
Plädoyer für Autonomie und Tierrechte
broschiert, 192 Seiten
Promedia-Verlag Wien, 2014
ISBN: 978-3853713778
Preis: 17,90 Euro
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