Erstaunliche Fähigkeiten von Tieren
»Am Anfang des Buches stand mein ungläubiges Staunen über die Fähigkeiten der Tiere und der Wunsch, dieses Staunen zu teilen«, schreibt Prof. Dr. Josef Schöchl im Vorwort zu »Der Rabe und der schlechte Leumund - Verblüffendes aus dem Reich der Tiere«. Den Tod so täuschend echt zu spielen, dass er das Leben rettet, über Wasser laufen oder in der Tiefe des Wüstensands zu schwimmen, sich in einer Taucherglocke wohnlich einzurichten oder sich in andere Wesen zu verwandeln - Tiere haben erstaunliche und geniale Strategien entwickelt, um das eigene Überleben, ihre Vermehrung, die Weitergabe der Gene und den Fortbestand der eigenen Art zu sichern, erklärt der Veterinärmediziner und Kuratoriumsvorsitzender des »Hauses der Natur« in Salzburg. In seinem Buch hat Prof. Schöchl überraschende und unglaubliche Fakten aus der Welt der Tiere zusammengetragen - mit dem Ziel, unseren Mitgeschöpfen mehr Rücksichtnahme und diesen Wundern der Natur mehr Achtsamkeit entgegenzubringen.
Unser Bild von Raben und Krähen
oft von Vorurteilen und Aberglauben geprägt - von »Todesboten« und »Unglücksbringern« über den »rabenschwarzen Tag« bis zu »Rabeneltern«. Dabei sind Rabenvögel sehr sozial, fürsorgliche Eltern und sich ein Leben lang treu. Sie sind wichtige Schädlingsbekämpfer und Gesundheitspolizisten und sie zählen zu den intelligentesten Tieren überhaupt. · Bild Raben: Krasula - Shutterstock.com
»Am Beispiel der Raben zeigt sich, wie sehr wir in unserer Einstellung gegenüber Tieren noch heute von überkommenden Aberglauben, Unwissenheit und Vorurteilen geprägt sind, was sich in zahlreichen Sprichwörtern ausdrückt. Wenn alles schiefgegangen ist, so sprechen wir von einem "rabenschwarzen Tag", womit immer noch der Ruf des Raben als Unglücksbote gefestigt wird«, schreibt Prof. Schöchl. Und ganz im krassen Gegensatz zum Begriff " Rabeneltern" kümmern sich Raben äußerst fürsorglich und sehr lange um ihren Nachwuchs, erfahren wir weiter. Raben und Krähen sind sehr gesellige Tiere und ein Vorbild an Treue, weil sie mit ihrem Partner ein Leben lang zusammenbleiben.
Ehemals als Göttervögel in der nordischen Mythologie verehrt, sind Raben und Krähen im Mittelalter in den schlechten Ruf als "Todesboten" und Galgenvögel" geraten. Da sie nunmal Aasfresser sind, waren sie in Scharen auf den Schlachtfeldern zu sehen, wo hunderte gefallene Soldaten lagen. Und die Menschen in den Dörfern und Städten beobachteten mit Entsetzen, wie Raben und Krähen Fleischstücke aus den Leichen der Gehenkten pickten, die man zur Abschreckung am Galgen ließ.
Heute beeindrucken Raben die moderne Wissenschaft immer wieder aufs Neue mit ihren bewundernswerten geistigen Leistungen. »Krähen benutzen zielgerichtet Werkzeuge, sie können abstrakt denken, nach Plan handeln und erreichen in vielen Bereichen ein Niveau, das mit Menschenaffen vergleichbar ist«, erklärt Prof. Schöchl. Sie zählen zu den intelligentesten Tieren überhaupt.
Charles Darwin war bei seiner ersten Begegnung mit Geiern alles andere als fasziniert: »Es sind verabscheuungswürdige Vögel, ihr kahler, roter Kopf geschaffen dafür, in Verderbtheit zu schwelgen«, schrieb er 1835 in sein Tagebuch.
Dabei sind Geier äußerst nützlich: Dank ihnen werden Kadaver schnell beseitigt und so eine Seuchenausbreitung verhindert. »Geier, wie etwa Gänsegeier (Gyps fulvus), leben von Kadavern, einer Nahrung, die für fast alle Tierarten und Menschen hoch giftig und lebensbedrohend ist«, erläutert der Autor. »Wahrscheinlich empfinden wir darum Verwesungsgeruch als extrem ekelhaft. In Verwesendem findet sich ein Toxin- und Bakteriencocktail, von dem jeder einzelne Bestandteil allein schon zum Tode führen könnte. Wie etwa der Milzbranderreger Bacillus anthracis oder Clostridium botulinum, dessen Toxin eines der stärksten natürlich vorkommenden Gifte ist.« Auch ein weit fortgeschrittener Verwesungsprozess mache Geiern nichts aus.
Doch warum sind Geiermägen so unverwundbar gegen Gifte und Bakterien aus verwesenden Kadavern? Der Veterinärmediziner erklärt, dass in ihrem Magen aufgrund von Salzsäure ein extrem saures Milieu herrsche, das für die meisten Bakterienarten tödlich sei. Und gegen die besonders gefährlichen Bakterien aus den Gruppen der Clostridien und der Fusobakterien seien Geier unempfindlich. Diese für alle anderen Tierarten lebensbedrohlichen Bakterien dienen ihnen sogar bei der Verdauung von Aas, da sie im Darm der Geier Fleisch zersetzende Enzyme absondern.
»In vielen Weltgegenden werden Geier verfolgt«, so Josef Schöchl. »Das ist äußerst kurzsichtig und selbstschädigend, da es durch die natürlichen Gesundheitspolizisten zu einer schnellen Beseitigung von Kadavern und so zur Verhinderung einer Seuchenausbreitung bei Tier und Mensch kommt.«
Der Zitronenfalter und das selbstgemischte Frostschutzmittel
Zitronenfalter trinken Nektar
Schmetterlingsflieder, Disteln und Herbst-Löwenzahn. Ihre Eier legen sie ausschließlich auf Blätter des Faulbaumes oder des Kreuzdorns als Futterpflanze für die Raupen. Dank einer einzigartigen Überlebensstrategie können Zitronenfalter zwölf oder 13 Monate alt werden und sind damit die langlebigsten Schmetterlinge, die in Europa vorkommen. · Bild: Nature87 - Shutterstock.com
»Schmetterlinge haben in unseren Breiten ganz unterschiedliche Strategien entwickelt, die Kälte und den Schnee des Winters zu überstehen«, schreibt Prof. Schöchl. »Es gibt viele Arten, die als Raupe, als Puppe oder nur als Ei überwintern. Manche fliegen im Herbst in den warmen Süden.« Das Tagpfauenauge und der Kleine Fuchs ziehen sich während der kalten Jahreszeit in frostfreie Höhlen oder Dachstühle zurück. Es gibt nur eine einzige Art, die als ausgewachsener Schmetterling den Winter völlig ungeschützt im Freien verbringt: den Zitronenfalter.
Wenn im späten Herbst die kalten Tage beginnen, sucht sich der Zitronenfalter eine Baumspalte, eine Brombeerhecke oder ein Efeudickicht als Quartier für die Winterruhe. Nun hat der Zitronenfalter weder ein dickes Fell noch ein Federkleid, und er kann sich auch keinen warmen Winterspeck anfuttern. Die Überlebensstrategie des Zitronenfalters ist einzigartig: Zunächst scheidet er einen Teil seiner Körperflüssigkeit aus und reduziert somit den Wassergehalt im Körper. Dann produziert er ein körpereigenes Frostschutzmittel. »Es besteht aus einem Gemisch aus Glycerin, Sorbit und verschiedenen Eiweißen«, erklärt der Autor. »Damit kann er den Gefrierpunkt seiner restlichen Körperflüssigkeit stark senken und übersteht somit auch Temperaturen von bis zu minus 20 Grad Celsius ohne Schäden.«
Zitronenfalter werden schon von wenigen wärmenden Sonnenstrahlen aus der Winterstarre erweckt, so dass sie theoretisch das ganze Jahr beobachtet werden können. Im März gehören Zitronenfalter zu den ersten Frühlingsboten: Sobald die Temperaturen wärmer werden, erwachen sie aus der Winterstarre und fliegen sofort auf Partnersuche. Im April und Mai legt jedes Weibchen die Eier auf ein Blatt des Faulbaumes oder des Kreuzdorns. »Es muss eine dieser nicht sehr häufigen Pflanzen sein, da sich die Raupen ausschließlich von diesen Blättern ernähren können«, erklärt Prof. Schöchl. Nach etwa zehn Tagen schlüpfen die Raupen, welche sich je nach Witterung nach drei bis sieben Wochen verpuppen. Wenn die jungen Zitronenfalter nach zwei Wochen Puppenruhe schlüpfen, ist es bereits Sommer, meist Ende Juni bis Anfang August. Doch nach kaum zwei Wochen munteren Herumfliegens halten die Zitronenfalter Sommerruhe. Im September werden sie wieder aktiv. Dank dieser Ruhephase und ihrer einzigartigen Überwinterungsstrategie erreichen sie ein Alter von annährend zwölf Monaten und haben damit die längste Lebensdauer aller heimischen Schmetterlinge.
Nur intakte Lebensräume ermöglichen Artenvielfalt und genetische Vielfalt
»Tieren ist es gelungen, die unterschiedlichsten Lebensräume auf dieser Welt zu besiedeln«, schreibt Josef Schöchl. »Sie sind dabei aber immer Teil ihrer Umwelt und stehen in engen Wechselbeziehungen und Abhängigkeiten zu und von anderen Lebewesen.« Dieses sensible Gleichgewicht habe sich durch die Evolution langsam entwickelt und angepasst. Voraussetzung für ein Weiterbestehen dieses Gleichgewichts seien intakte Lebensräume und Landschaften: »Nur sie ermöglichen die notwendige Artenvielfalt und die genetische Vielfalt innerhalb der Arten. Was über unvorstellbar lange Zeiträume entstand, wird oft durch den rücksichtslosen und kurzsichtigen Eingriff des Menschen innerhalb weniger Momente zerstört und geht unwiederbringlich verloren.« Durch den Verlust der Vielfalt in der Natur schränke aber auch der Mensch seine eigenen Zukunftschancen radikal ein.