Federleicht - Das erstaunliche Leben der Spatzen
Sie leben mitten unter uns in unseren Dörfern, Städten und den heimischen Gärten, sie landen auf Bistro-Tischen und in Biergärten, um blitzschnell von unserem Kuchen, Baguette oder sogar Pommes zu stibitzen - und doch wissen wir so wenig über sie: Spatzen, auch Sperlinge genannt. Im Gefolge des Menschen haben sie fast den gesamten Globus besiedelt. Doch leider sind auch Spatzen inzwischen stark bedroht: die Bestände haben bis zu 80 Prozent abgenommen. In ihrem Buch »Das erstaunliche Leben der Spatzen« laden uns die Naturexperten Eva Goris und Claus-Peter Hutter zu einer Entdeckungsreise ein: in die geheime Welt eines vermeintlichen »Allerweltsvogels«. Auf unterhaltsame Weise erfahren wir viel Wissenswertes über das Leben der Spatzen, bei denen es heißt: »Einer für alle, alle für einen«. Und auch, was wir alle tun können, um den Spatzen das (Über-)Leben zu erleichtern. Eine Liebeserklärung an eine verkannte und unterschätzte Vogelfamilie - und ein flammender Appell, mit der uns anvertrauten Natur sorgsamer umzugehen.
Spatzen – früher überall, heute vom Aussterben bedroht
Die Anfänge der Mensch-Spatz-Beziehung reichen in biblische Zeiten zurück - und lassen sich sogar in den Genen der Spatzen nachweisen: Als der Mensch begann, Getreide anzubauen, entwickelte sich der Spatz zum Getreidefresser und war seither aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken - bis vor Kurzem. Seit etwa 1990 sinkt die Zahl der Spatzen rapide. Inzwischen stehen sie auf der Roten Liste und sind vom Aussterben bedroht. Wie kann das sein, wenn Spatzen als Allesesser doch überall etwas zu futtern finden - sogar in Biergärten, Cafés und auf Marktplätzen?
Die Antwort: Spatzen füttern ihre Jungen nicht mit Körnern, sondern mit Insekten. Und sofort wird das Problem klar: Der dramatische Rückgang der Insekten bedroht nicht nur typische Insektenesser wie Amsel, Rotkehlchen, Dorngrasmücke und Gartenrotschwanz, sondern auch die Körneresser unter den Vögeln wie Finken und eben auch Spatzen. »Vogelkundler haben ausgerechnet, dass ein einziges Spatzenpaar in einer Brutsaison über 20.000 Insekten verfüttert und rund 400-mal am Tag das Nest mit Nahrung anfliegt«, erfahren wir in dem Buch.
Erwachsene Spatzen sind Allesesser, die sich jedoch vor allem von Körnern, Kräutern und Knospen ernähren. Da sie aber auch Blattläuse, Asseln, Raupen und Spinnentiere vertilgen, halten sie Schädlinge im Garten in Schach.
Was sind die Gründe für das dramatische Insektensterben und den Rückgang der Vögel?
Früher summte und zwitscherte es in der Feldflur: Bienen, Hummeln, Schmetterlinge und Vögel hatten hier einen reich gegliederten Lebensraum. Seit Jahren ist es still geworden: Mit montonen Agrarflächen, hochgiftigen Pestiziden und Überdüngung gilt die industrielle Landwirtschaft als Hauptverursacher für das dramatische Insektensterben und den Rückgang der Vögel. Insektizide vernichten die Insekten, Herbizide vernichten Wildblumen und Wildkräuter, die wiederum Insekten und Vögeln als Nahrung dienen. Dazu kommen die Rodung von Hecken und Bauminseln und das Umpflügen von Wiesen, Brachen und Grünstreifen für immer größere Felder, die mit riesigen Maschinen bewirtschaftet werden.
Während noch vor 30 Jahren nach jeder längeren Autofahrt im Sommer die Windschutzscheibe voller zerquetschter Insekten war, so dass man an der Tankstelle die Scheiben mühsam waschen musste, bleiben heute Autoscheiben und Kühlergrill sauber - ein unübersehbares Zeichen für den dramatischen Rückgang der Insekten. Deshalb ist in den letzten 30 Jahren die Zahl der Spatzen um mehr als die Hälfte - in manchen Regionen bis zu 80 Prozent - zurückgegangen.
»Wenn schon Überlebenskünstler wie Spatzen rapide zurückgehen, wie mag es erst den Sensibelchen unter den Wildtieren und den Nahrungsspezialisten gehen?«, fragen Eva Goris und Claus-Peter Hutter. »Mehl- und Rauchschwalbe, Zaunkönig, Mönchsgrasmücke, Feldlerche - sie alle sind Opfer einer fortschreitenden Lebensraumvernichtung, die am Ende vielen Millionen Individuen den Tod bringt.«
In Europa ging die Zahl der Vögel im Agrarland um 57 Prozent zurück. Die Intensivierung der Landwirtschaft mit hohem Einsatz von Agrochemikalien und die Umwandlung von Grün- in Ackerland ist laut Reports State of the World"s Birds 2022 die größte Bedrohung für die Vögel der Welt: 73 Prozent aller bedrohten Arten sind davon betroffen.
Wichtiger denn je: Naturnahe Gärten
Vögel finden in unserer ausgeräumten Landschaft das ganze Jahr über zu wenig Nahrung. Inzwischen ist die Artenvielfalt in Städten größer als auf dem Land: Weitläufige Parkanlagen, Gärten und Friedhöfe sind zu Über-Lebensräumen für Wildtiere geworden. Sie bieten mit alten Bäumen, Sträuchern und blühenden Blumen Lebensraum und Nahrung für Insekten und Vögel.
Wichtiger denn je sind naturnahe Gärten mit Obstbäumen, Sträuchern, Küchenkräutern, Blumenbeeten und Wildblumenwiesen. »Das Insekten-Buffet ist dort reich gedeckt, wenn es im Garten dichte Büsche aus heimischen Sträuchern wie Heckenrosen, Nutzpflanzen wie Brombeeren und blühendem Lavendel und Margeriten gibt«, erklären Eva Goris und Claus-Peter Hutter. »In einem spatzenfreundlichen Garten wimmelt es von Käfern, Spinnentieren, Ameisen und Schmetterlingslarven. Acker-Witwenblumen, Liguster, Hopfen, Sommerflieder und Hundsrose sowie das immergrüne Geißblatt bieten neben Futter und Schutz für Insekten auch Früchte und Samen für Vögel. Wer naturnah gärtnert, wird dreifach belohnt: mit einem bunten Garten, mit viel Vogelgesang und weniger schädlichen Insekten«, so das Autorenteam.
Angesichts des dramatischen Insekten- und Vogelsterbens sollten wir in unseren Gärten durch Futterstellen unseren Vögeln helfen und zwar das ganze Jahr über. Natürlich finden Vögel in einem vogelfreundlichen Garten auch Nistgelegenheiten, Wasserstellen zum Trinken und Baden sowie eine Futterstelle.
Spatzen sind Leichtgewichte von nur 25 Gramm. Ihr Herz schlägt 800-mal in der Minute, um die Körpertemperatur ständig auf 42 Grad zu halten. Das erfordert einen großen Energieaufwand - und dazu kommt noch der hohe Kalorienverbrauch beim Fliegen.
Darum müssen Vögel ständig futtern - im Vergleich zu der Nahrung, die ein Mensch für sein Körpergewicht braucht, brauchen Vögel umgerechnet etwas zehnmal soviel zu essen.
»Gerade bei Minusgraden und Dauerfrost brauchen Vögel kalorienreiches, hochwertiges Futter, um die kräftezehrende Kälte zu überleben«, schreiben die Naturexperten. »Denn bei Kälte verbrauchen die kleinen Flieger jede Menge Brennstoff in Form von Fett. So verliert ein spatzengroßer Vogel in einer einzigen Frostnacht bis zu zehn Prozent seines Körpergewichtes; dieser Verlust muss am nächsten Tag ausgeglichen werden, sonst endet die nächste kalte Nacht tödlich.«
Schritt für Schritt zum vogelfreundlichen Garten
· Einheimische, standortgerechte Pflanzen gegenüber Exoten bevorzugen. |
Die richtige Vogelfütterung
· Achten Sie auf hochwertiges Vogelfutter in Lebensmittelqualität: Sie sollten Vögeln nur solche Körner, Nüsse und Samen geben, die sie auch in Ihr eigenes Müsli tun würden. |
Spatzen: Einer für alle - alle für einen
Spatzen sind ausgesprochen gesellig und halten fest zusammen. Durch laute Rufe warnen sie sich gegenseitig, wenn sich ein Sperber nähert oder eine Katze anschleicht - mitunter werden Katzen sogar durch gemeinschaftliche Scheinangriffe aus der Luft vertrieben. Spatzen sind unglaublich gesprächig und kommunizieren den ganzen Tag miteinander. Und sie brüten gerne in Gemeinschaft.
Bereits ab März beginnen Spatzen mit dem Nestbau und brüten von April bis August. Erfahrene Vogeleltern ziehen bis zu vier Bruten auf.
Nach zwei Wochen schlüpfen die Spatzenküken. Sie sind zunächst nackt und blind und kaum größer als ein Stück Würfelzucker. Die Eltern sind den ganzen Tag damit beschäftigt, Nahrung für die hungrigen Vogelkinder zu beschaffen. Sind die Vogeleltern unterwegs, um Insekten zu fangen, herrscht absolute Stille im Nest. Dies ist eine wichtige Überlebensstrategie, damit keine Nesträuber auf die Küken aufmerksam werden. Doch sobald sich ein Elternvogel dem Nest nähert, werden sie quicklebendig, strecken die Köpfchen senkrecht aus dem Nest, sperren die Schnäbel auf und machen ein riesiges Geschrei. Der grellgelbe Rachen übt verbunden mit den Bettelrufen einen starken Schlüsselreiz auf die Vogeleltern aus.
»Singvogeleltern fliegen bis zu 400-mal am Tag zum Nest, um die Küken zu füttern«, erfahren wir in »Federleicht«. Und: Spatzeneltern können die Rufe ihrer Küken sehr genau von denen anderer Küken unterscheiden. Das Weibchen sorgt für die Sauberkeit in der Kinderstube. »Mit dem Schnabel wird das Nistmaterial wie Bettzeug vorsichtig aufgeschüttelt«, erklären Eva Goris und Claus-Peter Hutter. Dotterreste, alte Eierschalen, Kot und Nahrungsreste werden sofort aus dem Nest beseitigt. Spatzen sind Kräuterexperten: Um Parasiten fernzuhalten, bringen sie Blätter von Schafgarbe oder Wermut ins Nest.
Kaum mehr als zwei Wochen nach dem Schlüpfen machen die Spatzenküken die ersten Flugversuche und verlassen das Nest. Damit ist die Arbeit für die Vogeleltern keineswegs getan: Jetzt sitzen die pummeligen Vogelkinder auf Ästen und sperren die Schnäbel auf. Für die Jungvögel ist das eine gefährliche Zeit: Sie können noch kaum fliegen und das Absturzrisiko ist groß - so sind sie eine leichte Beute für Katzen und andere Fressfeinde. Etwa eine Woche nach Verlassen des Nests werden die Spatzenkinder allmählich eigenständig und beginnen zum ersten Mal, selbst Futter zu suchen.
»Obwohl für uns Menschen ein Spatz wie der andere aussehen mag: Verwechslungen untereinander sind ausgeschlossen«, erklären die Autoren. »Die Vögel erkennen sich gegenseitig sehr genau an ihrem Aussehen und dem typischen Gesang.«
Von wegen Dreckspatz!
Völlig im Gegensatz zu der Bezeichnung Dreckspatz sind Spatzen sehr reinlich. Den unrühmlichen Namen hat ihnen ihre Vorliebe für Staubbäder eingebracht. Mit Staubbädern schütteln Spatzen Milben und andere Federparasiten ab. Sehr gerne baden Spatzen in Wasser - sogar im Winter. An großen Vogeltränken kann man sie meist zu mehreren beobachten, wie sie mehrmals am Tag regelrechte Badefeste veranstalten, bis auch der letzte Federkiel nass ist. Darum sollte das Wasser von Vogeltränken und Gartenbrunnen regelmäßig gewechselt und aufgefüllt werden, um es sauber zu halten.
Hin und wieder nutzen Spatzen auch eine »bio-chemische« Reinigung und stecken sich Ameisen ins Gefieder. Denn Ameisensäure vertreibt wirksam Parasiten. Sauberkeit sei nicht nur eine Frage von Schönheit, erklären die Autoren: Befallenes Gefieder wärmt und isoliert nicht. Bei Kälte kann das tödlich enden - erst recht für den Nachwuchs.
Hilfe für Vogeleltern und Spatzenkinder
In ihrem Buch »Das Leben der Spatzen« geben Eva Goris und Claus-Peter Hutter wertvolle Hinweise, wie wir Vogeleltern und Spatzenkindern helfen können. Was können wir zum Beispiel tun, wenn ein Vogelküken aus dem Nest gefallen ist oder bei den ersten Flugversuchen eine Bruchlandung gemacht hat? Nicht jeder Jungvogel, der aus dem Nest gefallen ist, sei gleich ein Notfall, so die Naturexperten. Oft halten die Altvögel den Bruchpiloten durchaus im Auge und nehmen Rufkontakt auf. Außerdem füttern sie auch außerhalb des Nestes weiter. Deshalb macht es durchaus Sinn, den Flugschüler dort zu belassen, wo er so unglücklich gelandet ist. Befindet er sich in einer misslichen Lage, kann man ihn getrost vorsichtig in die Hand nehmen und aus der Gefahrenzone bringen. Es sei ein weit verbreiteter Irrtum, dass Vogeleltern den Nachwuchs verstoßen, wenn ein Mensch das Küken in der Hand gehabt habe. So könne man für Vogelwaisen sogar ein Ammennest suchen: Gerade Koloniebrüter wie der Spatz kümmern sich auch um verwaiste Jungvögel, deren Eltern ein Unglück zugestoßen ist. Es komme nicht selten vor, dass die verwaisten Spatzenkinder von den Nachbarn mitgefüttert werden. Spatzen ziehen sogar fremde Vögel auf. Der Fütterungstrieb ist derart stark ausgeprägt, dass sie selbst Meisenküken füttern, wenn zufällig ein Nest in der Nähe ist.
Wohnungsbau für Spatzen
»Wer für Spatzenfamilien eine Immobilie schaffen will, sollte bedenken, dass der kleine Vogel gesellig ist und am liebsten in Kolonien brütet«, erfahren wir weiter. »Natürlich ziehen Spatzen in Anbetracht der Wohnungsnot auch in einzelne Nistkästen (so etwa der Feldsperling), aber lieber ist es ihnen, wenn andere Paare gleich nebenan wohnen und ihren Nachwuchs großziehen.« Deswegen sollte man mehrere Nistkästen nebeneinander hängen. Es gibt Spatzenhäuser aus Holz mit drei Nistkammern nebeneinander, die zwischen 30 und 40 Euro kosten. Noch besser sind Koloniekästen aus Holzbeton, wie sie die Firma Schwegler anbietet. Sie sind langlebiger als Holzkästen und bieten für die Jungvögel ein besseres Innenklima.
Beim Aufhängen eines Nistkastens sollte man auf die Himmelsrichtung achten und das Einflugloch nach Osten oder Südosten ausrichten: Für den Vogelnachwuchs ist es optimal, wenn die Morgensonne auf den Nistkasten fällt; so wärmt sich der Nistplatz nach einer kühleren Nacht schneller auf und die Vogeleltern können unbesorgt auf die Suche nach Insekten gehen. Doch ein Nistkasten sollte niemals der Hitze des Tages - erst recht nicht der prallen Mittagssonne - ausgesetzt sein! Heizt es sich im Innern zu stark auf, ist das Leben der Küken akut gefährdet , erklärt das Autorenteam. Daher macht es Sinn, Nistkästen in Schatten spendende Bäume oder unter das Dach zu hängen. Um die Vogelküken vor Regen und Wind zu schützen, hängt man den Kasten leicht nach vorne geneigt auf.
Übrigens stehen Spatzen und ihre Nistplätze unter Schutz. »Wer eine Brutstätte zerstört und angezeigt wird, muss mit einer empfindlichen Strafe rechnen«, erklären Eva Goris und Claus-Peter Hutter.
"Sind die Spatzen weg, ist es um uns selbst nicht mehr gut bestellt"
Längst sind Spatzen - wie viele andere Vogelarten auch - bedroht. »Man kann den Spatzen durchaus als Symbolvogel für den Krieg der Menschen gegen die Natur sehen«, so die beiden Autoren. Dieser Krieg hat Milliarden Opfer unter den Tieren gefordert. Lange habe der Spatz mit einer großen Zahl an Individuen der Vernichtung standgehalten. Doch in den letzten 30 Jahren brechen die Bestände ein. Der dramatische Rückgang der einstigen Allerweltsvögel muss uns allen zu denken geben. Denn seien die Spatzen erst einmal weg, sei es um uns selbst nicht mehr gut bestellt...