Gerichtlich festgestellt: Hummer können leiden
Hummer gehören zu den wenigen Tierarten, die in Deutschland lebendig als Lebensmittel verkauft werden dürfen. Nach dem Fang werden sie mit zusammen gebundenen Scheren in kleinen Styroporbehältern transportiert. Vor allem von Tierschützern, aber auch von Tierärzten, werden Art und Dauer des Transportes sowie die Aufbewahrung der lebenden Tiere kritisiert. Das Verwaltungsgericht Berlin hat am 15.2.2017 mit einem richtungsweisenden Urteil die Leidensfähigkeit von Hummern und anderen Krebstieren anerkannt (Az. VG 24 K 188.14). Damit hat ein Gericht erstmals für diese Gruppe von wirbellosen Tieren den Schutz vor vermeidbaren Schmerzen, Leiden oder Schäden, wie es 1 Tierschutzgesetz vorsieht, eingefordert.
Hintergrund: Amtstierärzte des Veterinäramts Berlin-Spandau hatten 2013 nach Kontrollen in einem Lebensmittelgroßmarkt verschiedene tierschutzrechtliche Maßnahmen zur artgerechten Haltung von lebenden Hummern und anderen Krebstieren, die dort verkauft wurden, angeordnet. Zu den Missständen, die bei der Haltung der Krebstiere festgestellt wurden, gehörte u. a. die mangelnde Abdunkelung der Becken, eine nicht nachvollziehbare Dokumentation der Wasserparameter, zu hoher Tierbesatz in den einzelnen Becken, fehlende Rückzugsmöglichkeiten für die normalerweise solitär lebenden Hummer, das Fehlen von Merkblättern zur richtigen Behandlung und Tötung der Tiere für die Gastronomie sowie die ungenügende Schulung des Personals. Das Veterinäramt forderte außerdem ein Verbot des Verkaufs von lebenden Hummern an Endverbraucher.
Gegen die Auflagen des Veterinäramts hatte der Großhandelsmarkt 2014 beim Verwaltungsgericht Berlin Klage eingereicht. Noch zu Beginn des Verfahrens bestritt der Lebensmittelgroßhändler die Leidensfähigkeit von Hummern. Es sei nicht nachgewiesen, ob ein Hummer Stress empfinde oder einfach aus Reflex Licht und den engen Kontakt zu Artgenossen meide.
Der Sachverständige Jan Wolter, Vizepräsident der Tierärztekammer Berlin, konnte das überzeugend widerlegen: Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegten, dass Hummer nicht auf Grund von Reflexen handeln, sondern die Fähigkeit haben, Angst oder Stress zu empfinden. Sie seien somit leidensfähig im Sinne des Tierschutzgesetzes.
Paragraph 2 des Tierschutzgesetzes fordert für alle Tiere eben auch für Wirbellose wie Krebse , dass sie ihrer Art und ihren Bedürfnissen entsprechend angemessen ernährt, gepflegt und verhaltensgerecht untergebracht werden müssen , erklärt der Vizepräsident der Tierärztekammer Berlin.
Mit seinem Urteil bestätigte das Gericht diese Auffassung. Es sei ein Gebot des Tierschutzgesetzes, das Leid der Tiere möglichst gering zu halten, so der Vorsitzende Richter. Einen Teil der Auflagen des Veterinäramts an den Einkaufsmarktbetreiber erklärte das Gericht in seinem Urteil für rechtmäßig. Demnach dürfen Veterinärbehörden auch bei der Haltung von wirbellosen Tieren wie Hummern zum Schutz der Tiere eingreifen. Der Lebensmittelgroßmarkt muss nach Auffassung des Gerichts jedem Hummer Einzel-Rückzugsmöglichkeiten und mehr Platz bieten. Für das Verbot des Veterinäramts, lebende Hummer zu verkaufen, gebe es allerdings keine Rechtsgrundlage. Eine so weitreichende
Entscheidung sollte der Gesetzgeber treffen, keine Behörde, die lediglich Vollzugsaufgaben habe.
Indem vom Gericht anerkannt wurde, dass auch Krebstiere grundsätzlich leidensfähig sind, wurde eine Lanze gebrochen für Lebewesen, die nicht unmittelbar im Fokus des öffentlichen Interesses stehen , begrüßt der Präsident der Bundestierärztekammer (BTK), Dr. Uwe Tiedemann die Entscheidung. Zwar sei das Urteil in den Details nur zum Teil befriedigend. Immerhin stärke es aber dem Veterinäramt als Vollzugsbehörde den Rücken, um sich in der nächsthöheren Instanz für einen besseren Umgang mit Hummern einzusetzen.
Quellen:
Pressemeldung der Bundestierärztekammer vom 16.02.2017.
Pressemitteilung der Kanzlei Röttgen & Kluge vom 16.2.2017: Erstmals gerichtlich festgestellt: Hummer können leiden