Karen Duve: "Anständig essen"
Von Julia Brunke
In Anständig essen beschreibt Karin Duve auf kurzweilige Art und Weise den Weg vom gedankenlosen, gewohnheitsmäßigen Fleischkonsum zur ethisch motivierten Entscheidung: Für mich sollen keine Tiere leiden und sterben müssen. Wie viel gönne ich mir auf Kosten anderer? Ist es moralisch richtig, wenn Tiere in der Massentierhaltung unter grausamsten Bedingungen leiden und anschließend geschlachtet werden, nur für den Gaumenkitzel der Menschen? Ist es vertretbar, dass für den Fleischkonsum Böden und Gewässer vergiftet, Regenwälder gerodet, die Natur zerstört wird? Ist es zu rechtfertigen, dass für die industrielle Fleischproduktion über die Hälfte der Welt-Getreideernte der Tiermast in den reichen Industrieländern zum Opfer fällt, während über eine Milliarde Menschen hungern? Und: Zeigen nicht immer neue Ernährungsstudien auf, dass der massenhafte Fleischkonsum eine Hauptursache für die vielen so genannten Zivilisationskrankheiten ist: von Herzinfarkt, Arteriosklerose, Diabetes mellitus, Fettsucht, Gicht bis Krebs?
Die Schriftstellerin Karen Duve, eine bis dato begeisterte Fleisch- und Fast-Food-Esserin, stellte sich diesen Fragen. In einem Selbstversuch probierte ein Jahr lang jeweils zwei oder drei Monate Ernährungsweisen mit moralischem Anspruch aus: Biologisch, vegetarisch, vegan und am Ende sogar frutarisch, also nur das, was die Pflanze freiwillig spendet. Mit trockenem Humor protokollierte sie ihre Erfahrungen. Herausgekommen ist das gleichsam informative wie unterhaltsame Sachbuch Anständig essen - sowie Karen Duves Entscheidung: Tierisch darf sich künftig nur noch ihre Katze ernähren.
Früher schwärmte sie für Grillhähnchen
Die Schriftstellerin Karen Duve war eine ganz normale Fleischesserin. Und mit dem Verzehr von Bratwürstchen, Schokolade, Gummibärchen und Unmengen Cola light gehörte sie nicht gerade zur Gesundheitsfraktion. Weil sie nicht gerne kocht, bevorzugte sie Fast-Food, am liebsten Billig-Grillhähnchen aus dem Supermarkt.
Im Dezember 2009 änderte sich ihr Leben: Karen Duve stand bei Rewe an der Kühltruhe, die Hähnchen-Grillpfanne für 2,99 Euro in der Hand. Wie kannst du dieses Qualfleisch kaufen? , schrie ihre überwiegend vegetarisch lebende Mitbewohnerin. Du weißt doch ganz genau, wie diese Hühner gehalten werden. Und Karen Duve musste zugeben: Vermutlich waren die Lebensbedingungen dieses Huhns eher unerfreulich gewesen. Sie wusste dies im Grunde, hatte im Fernsehen schon Filmaufnahmen von der Tierqual in der Massentierhaltung gesehen. Doch: Es machte überhaupt keinen Spaß, daran zu denken - insbesondere auch deshalb nicht, weil mir am Ende dieser geistigen Anstrengung nichts anderes übrig blieb, als auf die Hähnchenpfanne zu verzichten. Karen Duve entschied an diesem Tag, ein besserer Mensch zu werden.
Der Selbstversuch
Karen Duve entschloss sich zu einem Selbstversuch Und damit sie diesen auch wirklich durchziehen würde, wollte sie ein Buch darüber schreiben. Los ging es im Januar 2010: In den ersten beiden Monaten des Jahres sollten nur noch Produkte mit Bio-Siegel auf den Tisch kommen: Bio-Fleisch, Bio-Milchprodukte, Bio-Eier, Bio-Gemüse, Bio-Brot und Bio-Aufstiche. Im März und April wurde nur noch vegetarisch gegessen. Von Mai bis August folgte eine vegane Phase, also der komplette Verzicht auf tierische Produkte. Im September und Oktober versuchte sich die Schriftstellerin noch als Frutarierin - sie ernährte sich ausschließlich von reifen Früchten, welche die Natur freiwillig schenkt.
Parallel zu ihrer Ernährungsumstellung informierte sie sich: über Bio-Ernährung, Vegetarismus und die vegane Lebensform, über Chemie, Pestizide und Nitrate im Essen, über die Haltungsbedingungen der Tiere in der Massentierhaltung. Sie musste feststellen, dass auch Bio-Tiere kein schönes Leben haben und auch nicht zu Tode gestreichelt werden und dass selbst Boden- und Bio-Haltung von Legehennen alles andere als artgerecht ist. Sie recherchierte über den Einfluss der Geflügellobby und der Schweinemäster in der Politik sowie die Folgen des massenhaften Fleischkonsums für die Umwelt, das Klima und den Hunger in der Welt.
In ihrem Selbstversuch stellte Karen Duve fest, wie schwer es ist, langjährige Ernährungsgewohnheiten zu ändern - und wie lange sie ihre Gewissensbisse im Grunde verdrängt hatte: Wieso hatte es eigentlich nicht genügt, dass ich von den Zuständen in den industriellen Mastbetrieben wusste? ...Jedes Mal, wenn ich eine Hähnchenpfanne in meinen Einkaufswagen legte, musste ich ja nicht nur verdrängen, dass meinetwegen ein Tier getötet worden war, sondern auch, was für ein Leben es vorher hatte führen müssen. Sie führte es auf die Gewohnheit von Kindheit an zurück: Gewohnheit ist eine Art Gehirnwäsche, in die man allmählich hineinschlittert, Tag für Tag, und die einem eine hervorragende Imprägnierung gegen das Denken verleiht. Also nach dem Motto: Das habe ich schon immer so gemacht, alle anderen machen es auch so, also ist es in Ordnung. Aber nun stellte sie sich die Frage: Wie muss denn die Massentierhaltung noch werden, bis ich sie für wichtig genug erachte, mich davon stören zu lassen und den Verstand einzuschalten?
Während ihres Selbstversuchs beschäftigten die Schriftstellerin immer wieder die Fragen: Wie viel gönne ich mir auf Kosten anderer? Wie sieht es eigentlich mit dem Mitgefühl aus? Wieso sollte das Leiden eines Tieres nicht mit dem Leiden eines Menschen vergleichbar sein?
Immer wieder überkam Karen Duve der Heißhunger auf Fleisch. Dann versuchte sie sich vorzustellen, wie das Tier gestorben ist, obwohl es gar nicht sterben wollte. Ihr Vorsatz, anständig zu essen, kostete sie Opfer. Doch ihr Arzt bescheinigte ihr viel bessere Blutwerte und das Übergewicht ist auch weg.
Ich dache, ich käme leichter davon
Im November 2010, am Ende ihres Selbstversuchs stand Karen Duve vor der Entscheidung: Wie geht es jetzt weiter? Ehrlich gesagt, habe ich mir das anders vorgestellt. Ich dachte, ich käme leichter davon. Zu Beginn ihres Selbstversuchs hatte ich mir sich nämlich tatsächlich eingebildet, ich wüsste bereits, worauf das Ganze hinauslaufen würde, jedenfalls so ungefähr: insgesamt etwas achtsamer leben, deutlich weniger Fleisch essen, vielleicht die Hälfte von dem, was ich vorher gegessen hatte, und wenn, dann nur noch Fleisch aus ökologischer Haltung. Doch dazu ist es jetzt zu spät. Die Schriftstellerin muss feststellen, dass man sich nicht ernsthaft mit den Tatsachen der Mastanlagen und Schlachthöfe auseinander setzen kann, ohne dass dies Auswirkungen auf das eigene Leben hat: Manchmal wünschte ich, das Ganze wäre bloß ein Alptraum, und ich könnte daraus erwachen, und ein Hackbraten wäre wieder ein Hackbraten, ein Grillfest ein großes Vergnügen, und ich könnte in eine Bratwurst beißen, ohne dass an finsteren Orten wochen- und monatelang gelitten wird, damit es mir zehn Minuten schmeckt. Aber leider weiß ich jetzt, was Sache ist, und das bedeutet, dass ich nie wieder so werde leben und essen können, wie ich es vorher getan habe.
Karen Duve trifft die Entscheidung, kein Fleisch mehr zu essen, wenn irgend möglich Bio-Lebensmittel zu kaufen und kaum noch Milchprodukte. Sie will keine Eier aus dem Supermarkt mehr kaufen, aber die Eier von den eigenen Hühnern, die im Garten rumlaufen, essen. Sie will keine Lederprodukte und keine Produkte, in denen Daunen verarbeitet sind, kaufen.
Eine Entscheidungshilfe
In Anständig essen beschreibt Karin Duve auf kurzweilige Art und Weise den Weg vom gedankenlosen, gewohnheitsmäßigen Fleischkonsum zur ethisch motivierten Entscheidung: Für mich sollen keine Tiere leiden und sterben müssen.
Für alle Noch-Fleischesser kann dieses Buch eine Entscheidungshilfe sein: Karen Duve zeigt - mal humorvoll, mal nachdenklich, aber nie mit erhobenem Zeigefinger - auf, aus welchen Gründen ein anständiger Mensch auf das Essen von Tieren verzichten sollte Und auch für langjährige Vegetarier und vegan lebende Menschen ist Anständig essen eine unterhaltsame, informative Lektüre.
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