Seit 1974: Jagdverbot im Kanton Genf
Von Julia Brunke
Im Schweizer Kanton Genf entschied die Bevölkerung 1974 durch Volksabstimmung für ein allgemeines Jagdverbot auf Säugetiere und Vögel. Mit überaus positiven Auswirkungen für die Natur, Tiere und die Menschen: Noch nie war die Biodiversität größer und die meisten Wildtierbestände regulieren sich selbstständig erfolgreich. An den Ufern des Genfer Sees und der Rhône erhöhte sich die Zahl der überwinternden Wasservögel auf spektakuläre Weise - ohne Zweifel eine Folge der ausbleibenden Störungen durch die Jagd. Vögel und die anderen Wildtiere verlieren immer mehr einen großen Teil der unnatürlichen Scheu, die durch die Jagd hervorgerufen wird. So werden wild lebende Tiere wieder erlebbar: Die vielen Vögel an den Gewässern lassen sich von den Menschen nicht stören. Spaziergänger bekommen regelmäßig Wildtiere wie den Feldhasen zu Gesicht mit etwas Glück kann man am helllichten Tage sogar Hirsche beobachten. So erhalten die Menschen ein verlorengegangenes Verständnis für die Natur und ihre Zusammenhänge zurück.
Von 280 Quadratkilometern Gesamtfläche verfügt der mit 500.000 Einwohnern dicht besiedelte Kanton Genf über 30 Quadratkilometer Wald und 110 Quadratkilometer Feldflur. Prozentual ausgedrückt: 45 Prozent des Kantons werden landwirtschaftlich genutzt, 25 Prozent sind bebaut, 15 Prozent bestehen aus Wald und Fluss, weitere 15 Prozent nimmt der Genfer See ein.
Im Kanton Genf
haben Rehe und Hirsche ihre unnatürliche Scheu verloren: Sie kommen auch am hellichten Tage aus der Deckung. »Für die städtische Bevölkerung ist die Natur eine Bereicherung«, so lautet das Credo von Gilles Mulhauser, dem Leiter des Amtes für Natur und Landschaft. Foto: Canton de Genève, Direction générale de la nature et du paysage
Große Mehrheit bei Volksentscheid über Jagdverbot
Zu Beginn der 1970er Jahre war das Großwild durch übermäßige Bejagung im Kanton Genf fast ausgerottet. Es gab nur noch einige Dutzend Rehe, Hirsche und Wildschweine waren schon seit Jahrzehnten ausgerottet. Feldhasen, Wildkaninchen, Fasane und Rebhühner waren durch die Intensivierung der Landwirtschaft und durch die Jagd sehr selten geworden. Damit die Jäger noch etwas zu schießen hatten, wurden Fasane, Rebhühner und Feldhasen aus dem Ausland importiert und vor der Jagd ausgesetzt.
1974 kam es aufgrund einer Volksinitiative von Tierschützern zu einem Volksreferendum, das Geschichte schrieb: Mit einer großen Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen wurde die Jagd im Kanton Genf verboten. Wenn das Volk in der Schweiz gesprochen hat, sind die Behörden konsequent: Ab sofort wurde kein Jagd patent mehr vergeben - und so wurde in der Jagdsaison 1974 auch nichts mehr geschossen. In der Folge wurde ein Fauna-Gesetz verabschiedet und eine konstitutionelle Fauna-Kommission gegründet, in der Vertreter vom Naturschutz und vom Tierschutz entscheiden, ob eventuell Regulationen, Eingriffe oder auch Schadensvergütungen notwendig sind -ein Abschuss sollte immer das letzte Mittel sein. Die Gründung dieser Kommission war wichtig, damit nicht die Regierung über Ausnahmen entscheidet und dadurch das Jagdverbot verwässert wird.
Das Jagdverbot in Genf war eine Sensation und erregte auch weit über den Kanton hinaus große Aufmerksamkeit. Für die Jagdwelt war es ein Schock und ist es bis heute. Denn das Beispiel Genf beweist, dass es auch in der dicht besiedelten Kulturlandschaft - ohne Jäger geht, ja, dass es Natur und Tieren sogar viel besser geht und dass auch die Menschen davon profitieren.
hat internationale Bedeutung für den Vogelschutz
Durch die Abschaffung der Jagd im Schweizer Kanton Genf 1974 bekam das Gebiet des Genfer Sees und des Flusses Rhône internationale Bedeutung für den Vogelschutz. Dies belegt eine Studie des Schweizer Vogelschutzes SVS-BirdLife. Demnach ist dieser für den Vogelschutz zuvor wenig bedeutsame Gewässerabschnitt heute ein bedeutsames Biotop für überwinternde Tafel- und Reiherenten, Hauben- und Zwergtaucher, Pfeif-, Schnatter-, Krick- und Stockenten. Auch für den Gänsesäger sind die Gewässer im Kanton Genf ein wichtiges Brut- und Überwinterungsgebiet. Besonders der gestaute Bereich bei Peney und oberhalb Verbois sowie die Rade de Genève sind wichtige Ruhegebiete für Wasservögel, wogegen die Nahrungsgebiete auch im fließenden Abschnitt liegen. Teilgebiete sind Limikolenrastplätze, die als besonders wertvoll (Vasières de Peney, Rade de Genève) oder als wichtiges Gebiet (Lac de Verbois) eingestuft sind.
Den Wildtieren in Genf geht es gut
Der Kanton Genf hat heute einen stabilen Huftierbestand von rund 60 Rothirschen und 200 bis 300 Rehen. Gottlieb Dandliker ist seit 2001 Faunainspektor im Kanton Genf und verantwortlich für das Wildtiermanagement. Als erklärter Tierfreund und Naturschützer hatte er nach seinem Biologiestudium für verschiedene NGOs wie den Schweizer Vogelschutz gearbeitet. Bei seinem Vortrag "Jagdverbot: wissenschaftlich möglich und praktisch bewiesen" am 15.10.2013 an der Universität Basel berichtete er, dass die Rehe von denen es 1974 nur noch wenige gab nach dem Jagdverbot den Kanton Genf nach kurzer Zeit wieder besiedelt haben. "Wir kommen pro Quadratkilometer auf etwa 10 bis 15 Rehe, was nicht übertrieben ist, wenn man bedenkt, dass sie 40 Jahre lang nicht bejagt wurden. Es findet also irgendwie eine Regulation statt." Die Reh-Population ist seit Jahren stabil. Immer wieder wird die Frage gestellt, ob die Rehe nicht Schäden im Wald verursachen. "Wir haben in Genf vor allem Eichenwälder", erklärt Faunainspektor Gottlieb Dandliker. "Und es ist ganz klar: Das Reh bedroht den Wald nicht." Nun besteht ja bekanntlich ein Unterschied zwischen Wald und Forst: "Wenn der Förster einen bestimmten Typ von geraden Eichen haben will, den er in 200 Jahren sehr teuer verkaufen kann, dann kann es ein Problem geben." Diese so genannten Zukunftseichen würden dann wie die Weinreben individuell geschützt.
Dank Jagdverbot ist Genf eine der letzten Bastionen für Wildkaninchen und Rebhühner auf Schweizer Boden: "Wir haben die letzte Rebhuhnpopulation in der Schweiz", sagt Faunainspektor Dandliker. Und: Genf hat heute die größte Populationsdichte von Feldhasen. Vor der Volksabstimmung im Jahr 1974 hatte die Jagdlobby behauptet, ohne Jagd wäre der Feldhase im Kanton Genf von der Ausrottung durch Beutegreifer bedroht. Das Gegenteil war der Fall: Inzwischen erfreut sich der Kanton Genf einer gesunden, vermehrungsfähigen Feldhasenpopulation - der größten in der Schweiz. Ein Grund dafür ist neben dem Jagdverbot auch eine Extensivierung in der Landwirtschaft. Genf ist ein Pionier-Kanton: 10 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen sind ökologische Kompensation, also qualitativ hochwertiger für die Biodiversität. Davon profitieren auch Rebhühner, Greifvögel und Beutegreifer wie Marder und Fuchs. "Greiftiere sind breit vorhanden, führen aber zu keinem Problem", so der Faunainspektor. "Wir regulieren keine Füchse, Marder oder Dachse." Im Sommer wurde ein junger Luchs ein Waisentier aus dem Kanton Waadt in Genf freigelassen. Offenbar war zu befürchten, dass das Jungtier ansonsten abgeschossen würde.
Die Befürchtung der Landwirte, dass das Jagdverbot mehr Schäden an Kulturen bringen werde, hat sich nicht bewahrheitet: Die Schadenszahlen im Kanton Genf sind vergleichbar mit denen von Schaffhausen - obwohl in Schaffhausen die Jagd erlaubt ist. Durch die vielen Feldhasen kommt es zu Schäden an Sprösslingen von Sonnenblumen. Doch die Genfer Landwirte werden dafür durch jährliche Zahlungen von 30.000 bis 60.000 Franken entschädigt. Rehe verursachen vor allem Schäden in Fruchtbaumplantagen und an Weinreben. Die jährlichen Entschädigungszahlen liegen hier zwischen 20.000 und 80.000 Franken.
Und was ist mit den Wildschweinen?
1974 waren die Wildschweine schon seit Jahrzehnten im Kanton Genf ausgerottet. Nach dem Jagdverbot haben die Wildschweine Genf von Frankreich aus wieder besiedelt. In der abwechslungs reichen Landschaft des Kantons haben sich die Tiere sehr gut angepasst und schnell vermehrt. Schließlich wurden Schäden in der Landwirtschaft wurden politisch untragbar und eine Regulierung des Bestandes wurde notwendig. Ende des 20. Jahrhunderts sind die Wildschweinbestände regelrecht explodiert. Diese Erfahrung hat man aber in ganz Europa gemacht, unabhängig von einem Jagdverbot , so Fauna inspektor Gottlieb Dandliker. Weil die Wildschweine jetzt nicht nur Schäden im Mais verursachten, sondern auch im Herbst an die Weinreben gingen, kam es zu einer Wildschweinkrise in Genf. Und da haben sie meinen Posten geschaffen , erzählt der Biologe.
Genf setzt hier auf Schadensprävention: Um Schäden durch Wildschweine in der Landwirtschaft zu verhindern, werden elektrische Zäune um die Kulturen aufgestellt. Das ist eigentlich ganz einfach - da reichen zwei Bänder , erklärt Dandliker. Diese Methode sei sehr effizient. Doch es habe lange gedauert, die Landwirte davon zu überzeugen. Bei den Weinbergen müsse man nur die Reben in der Nähe von Wildschwein-Einständen und die besonders frühen Sorten schützen. Wenn es später Eicheln im Wald gebe, gingen die Wildschweine nicht mehr in die Weinberge.
Weil das Schadenspotential durch Wildschweine in der Landwirtschaft hoch ist, hat die Regierung einen Beschluss gefasst, die Wildschweine durch Abschüsse zu regulieren. "Diese Regulation erfolgt ausschließlich durch Wildhüter, es werden keine Amateurjäger einbezogen", so Gottlieb Dandliker. Für diese "Gardes de l"environnement" spielen Sicherheit, Ethik und Tierschutz eine große Rolle: "Wir können uns nicht einen einzigen Unfall leisten." Tierschutz bedeutet vor allem die Vermeidung von angeschossenen Tieren. "Das passiert massenweise in der Umgebung, im Waadtland, in Frankreich. Da werden Treibjagden gemacht, die Tiere werden angeschossen, man findet sie oder findet sie nicht - oder erst eine Woche später", berichtet der Faunainspektor. "Stresssituationen wie bei Treibjagden - wo die Tiere wissen: das war eine ganz furchtbare Sache - gibt es bei unserer Regulation nicht." Führende Bachen werden nicht geschossen - aus ethischen Gründen. Denn wenn die säugende Mutter fehlt, sterben die Kleinen. Auch die Leitbachen und die großen Eber werden nicht geschossen. "Dadurch erhoffen wir uns eine Stabilität in der Rotte und im Verhalten der Tiere", erklärt Dandliker. "Wir haben hier regelmäßig Gruppen von Wildschweinwaisen von der französischen Jagd, die ihre Mutter verloren haben und in die Dörfer kommen. Solche führungslose Frischlinge können natürlich große Schäden verursachen. Und es ist bekannt, dass sich Wildschweine nach Abschuss der Leitbache unkontrolliert vermehren.
Für die Dezimierung der Wildschweine wird rund eine Vollzeitstelle aufgewendet die Schwarzwildregulation kostet den Kanton also sehr wenig. Die Wildschweinpopulation im Kanton Genf schwankt heute zwischen 100 und 400 Individuen. "In den letzten zehn Jahren hat ein Wandel stattgefunden auch bei den Bauern, die grundsätzlich sehr gegen das Schwarzwild sind. Auch wenn es Schaden macht: Das Wildschwein ist ein Tier, das einfach zur Landschaft gehört. Und ist in diesem Sinn inzwischen akzeptiert."
90 Prozent der Bevölkerung stehen dahinter
Was ist nun die gesellschaftliche Bilanz des Jagdverbots? Das Jagdverbot hindert ein paar Hundert von 500.000 Genfern an der Ausübung ihres Hobbys im eigenen Kanton. Doch die Vorteile für die große Mehrheit sind bemerkenswert: Das Jagdverbot ermöglichte eine Rückkehr vieler Tiere und einer Artenvielfalt in den Kanton und macht Wildtiere für die Menschen wieder erlebbar. Und: Das Jagdverbot erhöhte die Sicherheit für Spaziergänger: "Im angrenzenden Waadtland oder in Frankreich kann man im Herbst nicht einfach so spazieren gehen. Da ist entweder die Hirschjagd oder die Wildschweinjagd", so Faunainspektor Gottlieb Dandliker. Und immer wieder kommt es zu Jagdunfällen.
Die Bevölkerung von Genf steht mit großer Mehrheit hinter dem Jagdverbot: Eine repräsentative Meinungsumfrage aus dem Jahr 2006 ergab 90 Prozent Zustimmung zur Beibehaltung des Jagdverbots. 2009 kam es im Kantonsrat zu einem Vorstoß, um über die Wiedereinführung der Jagd abzustimmen. Mit 71 zu 5 Stimmen bei 6 Enthaltungen wurde dem klar eine Abfuhr erteilt.
Somit wird in Genf seit 40 Jahren auf einer großen Fläche und in einer Kulturlandschaft ein einmaliges Experiment erfolgreich durchgeführt.
Schutz und Förderung der biologischen Vielfalt
Der Kanton Genf setzt sich mit einer Fülle von Maßnahmenplänen und konkreten Projekten für den Schutz und die Förderung der biologischen Vielfalt ein. So wurden zwischen 2010 und 2012 insgesamt 400 Hektar Fläche als staatliche Naturschutzgebiete klassifiziert. Über den ganzen Kanton ist ein Netzwerk von unterschiedlichen Lebensräumen wie Gewässern und Wald entstanden, in der eine Vielzahl von zum Teil seltenen Tieren und Pflanzen eine Heimat gefunden haben. Mit dem Genfer See, dem Fluss Rhône sowie Bächen haben die Gewässer internationale Bedeutung für den Vogelschutz gewonnen.
Im Jahr 2007 wurde im Kanton Genf ein Gesetz für den Landschafts- und Biotopschutz sowie die Erhaltung der Flora erlassen, das die Pflege und den Unterhalt dieser Flächen sichert. Für Rebhuhn, Steinkauz, Kronwicken-Bläuling, Hundszahnlilie und andere bedrohte Arten gibt es spezielle Förderungsprogramme.
Elf professionelle Wildhüter (Gardes de l"environnement) sind mit der Aufsicht über die Naturreservate sowie die Flora und Fauna betraut. Diese Naturschützer erledigen eine Vielzahl von anderen Aufgaben wie die Kontrolle der Naturreservate, Wildschadenverhütung und die Überwachung der Fischerei. Im direkten Kontakt mit der Bevölkerung vor Ort sind sie auch in der Umweltbildung tätig. Laut Genfs Faunainspektor Gottlieb Dandliker kostet der Einsatz der professionellen Wildhüter den Steuerzahler pro Jahr weniger als eine Tasse Kaffee: Insgesamt sind es ca. 1.200.000 Franken auf 500.000 Einwohner und zwar inklusive Wildschadensprävention in der Landwirtschaft (250.000 Franken) und Entschädigungszahlungen an die Landwirte (350.000 Franken). "Das, was wir machen, ist ja hauptsächlich für die Landwirtschaft", so Dandliker. Und er weist darauf hin, dass das Jagdverbot den Kanton günstiger kommt als mit Jagd: "Die Organisation einer Patentjagd würde mehr als die Schwarzwildregulation kosten." Denn für eine Jagdbehörde wären mindestens zwei Vollzeitstellen nötig, während für die Schwarzwildregulation rund eine Vollzeitstelle aufgewendet wird.
Eine Bereicherung für die Bevölkerung
"Für die städtische Bevölkerung ist die Natur eine Bereicherung", so lautet das Credo von Gilles Mulhauser, dem Leiter des Amtes für Natur und Landschaft. Der Kanton Genf ist mit 500.000 Einwohnern und 30.000 Hunden dicht besiedelt: Es sind suburbane Verhältnisse. Und so spielen nicht nur Schutzgebiete eine große Rolle, sondern auch die Förderung der Stadtnatur und die Naturpädagogik. So informieren an vielen Orten Schautafeln über diesen Lebensraum und seine Bewohner.
Das Programm "Natur in der Stadt" vernetzt städtische Grünflächen mit dem ländlichen Umfeld und fördert die Anlage von Biotopinseln wie Gärten, Kleingewässer oder begrünte Dächer. Sogar ehemalige Betriebsstandorte werden zu Biotopen umstrukturiert. Für öffentliche Gartenanlagen gilt die "Garten-Charta" für ökologische Bewirtschaftung und Förderung der Artenvielfalt, der sich über 200 private Kleingärtnerinnen und -gärtner und verschiedene Nichtregierungsorganisationen angeschlossen haben.
Da der Kanton Genf auf einer Länge von 103 Kilometern an Frankreich grenzt, spielt die länderübergreifende Zusammenarbeit zur Erhaltung der ökologischen Verbindungsachsen zwischen den Gebirgslebensräumen im Jura und in den Alpen, dem See und den Feuchtgebieten im Hinterland eine große Rolle - nicht zuletzt für den Hirsch.
Denn durch die Fragmentierung der Landschaft durch die Bebauung und die Autobahnen rund um die Stadt Genf haben die Wildtiere weniger Möglichkeiten zu wandern. Daher spielen Passagen für die Wildtiere in der Zusammenarbeit mit Frankreich eine große Rolle.
Quellen:
Bundesamt für Umwelt BAFU: Vorbild Genf. Aus: Zeitschrift des BAFU Umwelt 2/2013, Thema Biodiversität
http://ge.ch/nature/
Gottlieb Dandliker, Faunainspektor im Kanton Genf - Vortrag "Jagdverbot: wissenschaftlich möglich und praktisch bewiesen" am 15.10.2013 an der Uni Basel
www.jagdreguliertnicht.ch
Prof. Dr. Josef H. Reichholf, Vortrag zum Thema Jägerlatein und Wildbiologie , vom 15.10.2013 an der Uni Basel
www.jagdreguliertnicht.ch
BirdLife International (2012) Important Bird Areas factsheet: River Rhone: Geneva to Verbois reservoir.
www.birdlife.org/datazone/sitefactsheet.php?id=3269
Interview mit Gilles Mulhauser
Gilles Mulhauser leitet seit 2009 das Amt für Natur und Landschaft Kanton Genf.
Freiheit für Tiere: 2014 ist ein Jubiläum für den Kanton Genf: 40 Jahre Jagdverbot! - Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Auswirkungen des Jagdverbots?
Gilles Mulhauser: Es gibt verschiedene Auswirkungen. Nach 40 Jahren Jagdverbot können wir sagen: Die erste Auswirkung - die bei der heutigen Generation schon in Vergessenheit geraten ist - ist sicherlich die Tatsache, dass durch das Jagdverbot die Risiken für die Bevölkerung weniger geworden sind, und damit haben die Menschen viel mehr Möglichkeiten, sich in freier Natur zu bewegen. Die zweite Auswirkung besteht darin, dass verschiedene Tierarten ruhiger leben können. Dies betrifft vor allem die Vögel und die Huftiere. Dadurch sind die Tiere für die Menschen wieder erlebbar geworden. Die dritte Auswirkung ist die Entwicklung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit Frankreich, was zum Beispiel die Wander wege für Hirsche betrifft.
Freiheit für Tiere: Der Kanton Genf hat infolge des Jagdverbots inzwischen internationale Bedeutung für den Vogelschutz bekommen. Was macht die Gebiete rund um den Genfer See und die Rhône so wertvoll?
Gilles Mulhauser: Weil die Vögel weniger gestört werden - durch das Jagdverbot, aber auch durch eine gewisse Regulation der Schifffahrt - sind Ruhezonen für viele Vogelarten entstanden. Es gibt schon seit hundert Jahren lokale Jagdverbote. Aber jetzt, da das Jagdverbot für den ganzen Kanton gilt, ist ein echtes Naturreservat entstanden. Die Nahrungsgrundlage hat sich verbessert durch die Rückkehr der Zebramuschel und Entwicklung der Makrophyten, was mit der Verbesserung der Wasserqualität zusammenhängt.
Freiheit für Tiere: In jagdfreien Gebieten - seien es Nationalparks oder Großstädte wie die deutsche Hauptstadt Berlin - verlieren die Tiere ihre große Scheu vor den Menschen und werden für die Bevölkerung wieder erlebbar. Wie sind die Erfahrungen in Genf als doch sehr dicht besiedeltem Kanton?
Gilles Mulhauser: Wir stellen die gleichen Phänomene bei verschiedenen Tierarten fest. Einige haben ihren Lebensraum in der Stadt gefunden, zum Beispiel der Fuchs. Die Beschaffenheit der Landschaft mit zwei großen Flüssen und Auwäldern sowie der Wechsel von bewaldeten Hügeln und landwirtschaftlichen Flächen begünstigen das Vorkommen von Tierarten in unmittelbarer Nähe zu Wohngebieten (Hirsche, Biber, Gänsesäger, Wanderfalke, Wildschweine, Fledermäuse, Dachse, etc...).
Freiheit für Tiere: Es gibt Bilder von Hirschen und Rehen aus dem Kanton Genf, die sich am helllichten Tag zeigen und mit etwas Glück auch von Spaziergängern zu beobachten sind.
Gilles Mulhauser: Ich persönlich denke, dass der direkte Kontakt mit der Natur und ihren typischen Tierarten, eine wesentliche Erfahrung ist. Es geht nicht nur darum, einen nachhaltigen Schutz von Natur in städtischen Gebieten zu ermöglichen - das Erleben der Natur ist eine große Quelle für die Gesundheit jedes einzelnen Bewohners.
Freiheit für Tiere: Im Kanton Genf wird aktiv etwas für den Schutz der Natur und die Förderung der biologischen Vielfalt getan. Ist ein friedliches Zusammenleben von Menschen, Tieren und Natur möglich?
Gilles Mulhauser: Sicherlich ja. Aber wir müssen immer wieder daran arbeiten, das Bewusstsein hierfür in allen Bereichen der Gesellschaft zu schaffen. Wenn Interessenkonflikte auf wichtigen landwirtschaftlichen Nutzflächen entstehen, darf es nicht darum gehen, alleine wegen kurzfristiger Interessen einzugreifen. Sondern es geht um das öffentliche Wohl und das gemeinschaft liche Interesse, nachhaltige Bewirtschaftung und eine dauerhafte Erhaltung der natürlichen Ressourcen (Bodenfruchtbarkeit, Bestäubung, natürliche Wasserreinigung usw.) zu gewährleisten. Unser Naturerbe ist ein kollektives Gut, das sich jeder aneignen und sich dafür verantwortlich fühlen muss.
Gottlieb Dandliker, Faunainspektor im Kanton Genf (Jagdverbot seit 1974), 15. 10. 2013 an der Uni Basel:
"Jagdverbot: wissenschaftlich möglich und praktisch bewiesen"
www.jagdreguliertnicht.ch
Prof. Dr. Josef H. Reichholf zum Thema Jägerlatein und Wildbiologie , Vortragsabend vom 15.10.2013 an der Uni Basel.
Bereits 1974 ist im Kanton Genf in der Schweiz ein vollständiges Jagdverbot in Kraft getreten. Seither wurden deutliche Veränderungen im Verhalten der Wildtiere festgestellt, die für alle Beteiligten (Tier, Pflanze und Mensch) eine Besserung gebracht haben: Die Wildtierbestände regulieren sich selbstständig erfolgreich, die Tiere verlieren einen großen Teil der unnatürlichen Scheu, die durch die Jagd hervorgerufen wird, und die Menschen erhalten ein verlorengegangenes Verständnis für die Natur und ihre Zusammenhänge zurück.
www.jagdreguliertnicht.ch