Ein Jäger steigt aus
- Den ersten Rehbock schoss er mit 16
- Prof. Winkelmayer hörte mit dem Jagen auf und beschäftigte sich mit Tierethik
- »Wir Jäger müssen uns diesen Themen stellen«
- »Warum jagen wir?«
- Ist der »Jagdtrieb« eine ausreichende Begründung für die Jagd im 21. Jahrhundert?
- »Schließlich haben für die Jagd ganz genauso ethische Kriterien zu gelten wie für jedes andere menschliche Tun«
- Tierschutz hat Verfassungsrang - dem kann sich auch die Jagd nicht entziehen
- »Verhängnisvolles Erbe« der Ausbeutung von Tier und Umwelt
- Wie steht es nun mit Jagd und Ethik?
- Dürfen Tieren vermeidbare Leiden zugefügt werden? Ist Hobbyjagd heute noch zeitgemäß?
- Ist die Jagd überhaupt ethisch gerechtfertigt?
- »Die Ultima-Ratio-Jagd ist die einzige ethisch begründbare Form der Jagd«
- Weitreichende Konsequenzen für die Jagd
- »Das Töten von Tieren aus Spaß oder zu Erholungszwecken ist aus meiner Sicht absolut abzulehnen«
- Das Buch
- Interview mit Prof. Dr. Rudolf Winkelmayer: Vom Jäger zum Tierschützer
Prof. Dr. Rudolf Winkelmayer aus Niederösterreich war bis zur Pensionierung Tierarzt, Amtstierarzt und Lebensmittelwissenschaftler - und seit seiner Jugend leidenschaftlicher Jäger. Schon sein Vater war Jäger und nahm ihn als Kind oft mit auf die Jagd. Bereits mit 16 Jahren machte er die Jagdprüfung. Mehr als 100 Tiere hat er in seinem Leben geschossen. Auf Jagdreisen in Afrika schoss er Antilopen, Büffel und Leoparden.
Er war im Landesjagdverband aktiv und hielt dort Vorträge über Wildbret-Hygiene. Dann machte Rudolf Winkelmayer eine Kehrtwende: Von heute auf morgen beendete er das Schießen und verkaufte alle seine 16 Gewehre.
Er hörte nicht nur mit dem Töten von Wildtieren auf, sondern auch mit dem Fleisch essen. Seit einigen Jahren ernährt er sich sogar vegan. Wenn Prof. Winkelmayer heute in den Wald geht, dann um das Zwitschern der Vögel zu genießen und in gesunder Luft zu laufen. Er weiß, dass den Jägern aus der Gesellschaft inzwischen ein rauer Wind entgegen bläst: »Töten zum Spaß und als Freizeitvergnügen ist immer weniger anerkannt.« Gemeinsam mit Organisationen und Fachleuten aus Naturschutz, Tierschutz und dem ökologischen Jagdverband hat Prof. Winkelmayer ein Volksbegehren für ein neues Bundesjagdgesetz ins Leben gerufen, das auf den Säulen Ökologie und Tierschutz beruht.
Prof. Dr. Rudolf Winkelmayer, Jahrgang 1955, war bis zur Pensionierung praktischer Tierarzt, Amtstierarzt und Lebensmittelwissenschaftler. 2006 wurde ihm vom Österreichischen Bundespräsidenten der Berufstitel Professor verliehen. Als Tierarzt und Jäger schrieb er zahlreiche Bücher und Fachartikel über Jagdethik, Wildbrethygiene und Tierethik. 2008 konnte er das Töten von Tieren nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren und verkaufte alle 16 Jagdgewehre. Als Autor zahlreicher Publikationen und Bücher ist er heute vor allem als Vordenker in Sachen Tierschutz und Tierrechte bekannt und weiterhin publizistisch tätig. Seit 2022 setzt sich Prof. Dr. Rudolf Winkelmayer mit Organisationen und Fachleuten aus Naturschutz, Tierschutz und dem ökologischen Jagdverband für die Änderung der Jagdgesetzgebung in Österreich ein. Informationen: www.winkelmayer.at |
Den ersten Rehbock schoss er mit 16
»Ich komme aus einer Jägerfamilie. Mein Vater war Jäger und hat mich schon als Kind oft zur Jagd mitgenommen. Mit 16 Jahren habe ich dann die Jagdprüfung gemacht und gleich meinen ersten Rehbock geschossen. Ich war natürlich stolz, bin aber danach in Tränen ausgebrochen. Damals konnte ich meine Gefühle nicht einordnen. Rückblickend weiß ich nun, dass ich Mitleid mit dem Bock hatte«, erzählt Prof. Winkelmayer. »Als Jäger habe ich natürlich auch Wildfleisch gegessen, es zuhause selbst gekocht. Rinder oder Schweine wollte ich seit jeher aber nicht gerne auf meinem Teller haben. Die taten mir immer leid, weil sie schlecht gehalten werden. Als Amtstierarzt habe ich zu viel gesehen. Wer Fleisch essen möchte, muss sich im Klaren sein, dass dies nicht ohne Tierleid geht.«
Mit 16 machte Rundolf Winkelmayer die Jagdprüfung und schoss gleich seinen ersten Rehbock.
»Ich war natürlich stolz, bin aber danach in Tränen ausgebrochen. Damals konnte ich meine Gefühle nicht einordnen. Rückblickend weiß ich nun, dass ich Mitleid mit dem Bock hatte«, erzählt er. · Bild: JWB Fotografie - Shutterstock.com
Prof. Winkelmayer hörte mit dem Jagen auf und beschäftigte sich mit Tierethik
2008 hörte er von einem Tag auf den anderen mit dem Jagen auf - er konnte das Töten von Tieren nicht länger mit seinem Gewissen vereinbaren. »Dafür habe ich mich mit Tierethik auseinandergesetzt. Also mit den Pflichten von Menschen gegenüber Tieren und den Rechten von Tieren.«
Das Ergebnis hat er 2022 in seinem Buch »Ein Beitrag zur Jagd- und Wildtier-Ethik« veröffentlicht. Darin hinterfragt er nicht nur die Grundlagen der Jagd, sondern unseren Umgang mit Wildtieren allgemein. Prof. Winkelmayer hat sein Buch im Sternath-Verlag, einem Jagdliteraturverlag, herausgebracht und wendet sich damit vor allem auch an seine (ehemaligen) Jagdkollegen.
»Wir Jäger müssen uns diesen Themen stellen«
Dr. Michael Sternath, Gründer des Jagdverlags aus Kärnten, schreibt in seinem Vorwort: »Prof. Dr. Rudolf Winkelmayer ist einen weiten Weg gegangen: Einst ein begeisterter Jäger, ist er heute ein vehementer Vertreter der Tierrechte. Jagd ist für ihn ethisch nur mehr in sehr engem Rahmen begründbar. Größtmögliches Augenmerk ist dabei immer auf Angst-, Schmerz- und Leidensvermeidung zu legen. Man braucht Prof. Winkelmayer nicht in jedem einzelnen Punkt seiner Argumentation zu folgen. Die Auseinandersetzung mit seinen Ausführungen ist in jedem Fall höchst anregend. Wenn wir Jäger uns diesen Themen nicht stellen, dann wird der Zug eines Tages ohne uns abfahren...«
»Warum jagen wir?«
Zu Beginn seines Buches stellt der Autor die Frage: »Warum jagen wir eigentlich heute noch? Denken Jäger in stillen Stunden manchmal darüber nach - und wenn ja, finden sie eine ehrliche Antwort, zumindest für sich selbst?«
Der Steinzeitmensch war Jäger und Sammler, das Erbeuten von Wild habe damals - zumindest in den kälteren Regionen dieser Erde - sicher eine zentrale Rolle für das Überleben gespielt. Doch diese Notwendigkeit sei für die Menschen in hochentwickelten Ländern längst nicht mehr gegeben: »Andere anstrengende Tätigkeiten - und die Jagd kann sehr anstrengend sein - haben wir im Laufe der Menschheitsgeschichte nur zu gerne aufgegeben, sobald keine unmittelbare Notwendigkeit mehr dafür gegeben war«, erklärt Prof. Winkelmayer. »Nicht so die Jagd. Sie hat sich zwar geändert; ist von der überlebenswichtigen Nahrungsbeschaffung immer mehr zum Freizeitvergnügen, zum Luxus, aber auch zur Instrumentalisierung der Beute zum Prestigeobjekt - insbesondere bei der Trophäenjagd - mutiert.«
Gejagt werde heute von den meisten Hobbyjägern (Berufsjäger stellen eine zahlenmäßig unbedeutende Minderheit dar) ungeschminkt betrachtet in Wahrheit aus ganz anderen Gründen: wegen des »Kicks beim Töten des Tieres, aus »Passion« (also aus Lust und Leidenschaft).
Fragt man Jäger, warum sie jagen, ist die Antwort, dass sie damit den Wildbestand regulieren, alte und kranke Tiere schießen, Wildseuchen verhindern, Wildschäden in der Land- und Forstwirtschaft verhindern und damit einen wertvollen Beitrag zum Naturschutz liefern. Rudolf Winkelmayer weiß aus jahrelanger Erfahrung als Jäger: »Dafür alleine würden die wenigsten im Morgengrauen das warme Bett verlassen und sich an einem nasskalten, ungemütlichen, nebelverhangenen Novembertag den Unbilden der freien Natur ausliefern. Ohne entsprechende Leidenschaft, Emotion, ja unverblümter Lust ist dieses Verhalten vieler auf Dauer nicht denkbar.«
Ist der »Jagdtrieb« eine ausreichende Begründung für die Jagd im 21. Jahrhundert?
Rudolf Winkelmayer hat aus eigener Anschauung als Jäger eine eigene Erklärung für die Jagdleidenschaft: das »Beutemachen«. »Diese Sucht nach Glücksgefühlen, nach dem Adreanalinausstoß, beim schwierigen, aber gut gelungenen Schuss, beim Erbeuten eines Wildtieres oder einer begehrten Trophäe könnte meines Erachtens ein wesentlicher Faktor für die Erklärung der Jagdleidenschaft sein.« Die Leidensfähigkeit als zentrales Kriterium der Tierethik werde dabei weitgehend ausgeklammert. Und so kommt der ehemalige Jäger zu dem Schluss: »Jagd bleibt eben die Jagd das letzte Refugium, bei dem das lustmotivierte Töten erlaubt ist.«
Eine Begründung - welcher Art auch immer - warum der Mensch nach wie vor mit Leidenschaft jage, sei nur eine Seite der Medaille. Ob und wie wir gegebenenfalls als Kulturwesen des 21. Jahrhunderts jagen sollen, bleibe damit unbeantwortet. Eine bloße Berufung auf Triebverhalten zähle nach allgemeiner Übereinkunft in unserer Kultur nicht als ausreichende Begründung, so Prof. Winkelmayer. Das Ausleben des Sexualtriebs unterliege in unserer Gesellschaft ja auch völlig zu Recht strengen Regeln: »Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen und Vergewaltigung stehen unter Strafe, unabhängig davon, ob sich jemand dadurch persönlich im Ausleben seines Triebes eingeschränkt sieht.«
Jäger führen gerne Argumente wie »intensive Naturerfahrung«, »praktizierten Natur- und Artenschutz« und »Selbstversorgung mit hochwertigem Wildfleisch« als moralische Legitimation der Jagd an. Doch intensive Naturerfahrung sei auch beim Wandern oder Bergsteigen möglich, so Prof. Winkelmayer. Und um Natur- und Artenschutz zu praktizieren, müsse man keine Wildtiere tot schießen. Und wenn Jäger wirklich auf die Jagd gingen, um Wildfleisch zu gewinnen, hätte die Fuchsjagd keinen Reiz für sie, da Füchse bekanntlich nicht gegessen werden. Fakt ist, dass etwa die Hälfte der Tiere, welche von Jägern getötet werden, überhaupt nicht verwertet wird, weder als Lebensmittel noch sonst wie - sie landen in der Tierkörperbeseitigung oder werden weggeworfen.
Hier stelle sich die Frage nach der ethischen Legitimation: »Schließlich haben für die Jagd ganz genauso ethische Kriterien zu gelten wie für jedes andere menschliche Tun, und da ist es nur recht, aus tierethischer Sicht inakzeptable Praktiken auch entsprechend klar zu benennen«, so der ehemalige Jäger.
»Schließlich haben für die Jagd ganz genauso ethische Kriterien zu gelten wie für jedes andere menschliche Tun«
In Österreich gibt es rund 130.000 Jäger - etwa 1,5 Prozent der Bevölkerung -, in Deutschland gibt es rund 400.000 Jäger - etwa 0,5 Prozent der Bevölkerung. Dabei handelt es sich überwiegend um Hobbyjäger. In Deutschland gibt es gerade einmal etwa 1.000 Berufsjäger. Und die Jagd wird seit Jahren zunehmend kritisch gesehen. Einerseits haben viele Menschen den Bezug zur Jagd verloren, andererseits hat sich das Tierschutzverständnis weiterentwickelt.
Zum größten Teil seien aber die Jäger selbst die Ursache, so Prof. Winkelmayer: »weil sie jagdliche Tätigkeiten und Wildtier-Aneignungsmethoden praktizieren, für welche die Gesellschaft keinerlei Verständnis aufbringt und die sie schlichtweg ablehnt«, »Dazu zählen Auswüchse der Jagd, die durch eine Maximierung der Jagdstrecke oder Trophäenstärke gekennzeichnet sind oder bei denen Wildtiere auf eine Weise getötet werden, die im heutigen Wertesystem als verwerflich angesehen wird.«
Die große Mehrheit der Bevölkerung hat kein Verständnis für Jagdreisen nach Afrika, Gatterjagden auf halbzahme Hirsche oder »Gesellschaftsjagden« wie »Fuchswochen« im Winter, bei denen revierübergreifend Jäger eingeladen werden, um möglichst viele Füchse totzuschießen. Spaziergänger stehen oft fassungslos, wenn die Jäger feierlich »Strecke« legen und 30, 40, 50 oder mehr zerschossene Tiere in Reih und Glied aufreihen.
Immer wieder geraten Erholungssuchende in Treibjagden und erleiden einen Schock fürs Leben, wenn plötzlich um sie herum scharf geschossen wird. Immer wieder kommt es vor, dass Mountainbiker und Reiter von Jägern angepöbelt oder gar bedroht werden. Und immer wieder drohen Jäger Hunde-Spaziergängern, den geliebten Vierbeiner zu erschießen. Auf diese Weise werden völlig unbeteiligte und bislang am Tierschutz nicht besonders interessierte Menschen zu Jagdgegnern. Schlagzeilen wie »Jäger erschießt Hund von Urlaubern«, »Jäger verwechselt Pony mit Wildschwein« oder »Kind bei Erntejagd angeschossen« tun ihr Übrigens.
Die Jagd ist ein Hobby, das nur etwa 1,5 Prozent der Bevölkerung in Österreich und nur etwa 0,5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland ausüben.
Die große Mehrheit der Bevölkerung steht der Jagd - vor allem bestimmten Jagdarten wie der Fallenjagd, der Gatterjagd, der Auslandsjagd oder dem Abschuss von Hunden und Katzen - inzwischen recht kritisch gegenüber. · Bild: Budimir Jevtic - Shutterstock.com
Tierschutz hat Verfassungsrang - dem kann sich auch die Jagd nicht entziehen
Sowohl im österreichischen wie auch im deutschen Tierschutzgesetz steht, dass es verboten ist, Tiere ohne vernünftigen Grund zu töten. Als »vernünftiger Grund« gilt die Nahrungsgewinnung oder die Abwehr von unverhältnismäßigen Schäden. Wirbeltiere dürfen laut Tierschutzgesetz nur mit Betäubung getötet werden. Die Jagd ist davon ausdrücklich ausgenommen. Doch weil in Österreich wie in Deutschland der Tierschutz als Staatsziel Verfassungsrang habe, könne sich auch das Töten von Tieren im Rahmen von Jagd und Fischerei nicht der ethischen Diskussion über den »vernünftigen Grund« entziehen, so Prof. Winkelmayer. Auch lasse sich das Tierschutzgesetz dahingehend interpretieren, dass bei der jagdlichen Tötung »nicht mehr als unvermeidbare Schmerzen entstehen« dürfen.
Tötungsarten, wie sie etwa bei Gesellschaftsjagden auf Hirsche, Rehe oder Wildschweine - vor allem in nur wenige hundert Hektar großen, meist überbesetzten Gattern - oder eigens für den Zweck des Abschießens ausgesetzte Fasane, Rebhühner oder Enten, die damit zu lebenden Zielscheiben degradiert würden, würden vor allem der Lust am Töten dienen. Diese Tötungsarten seien zwar keine Verstöße gegen die Jagdgesetze, würden aber nicht nur von Tierschützern, sondern auch von vielen Jägern als unethisch abgelehnt.
Bei Drück-, Riegel-, Stöber- oder Treibjagden werden die Wildtiere durch Treiber und Hunde aufgescheucht. Weil die Tiere in Bewegung sind, ist der Schusswinkel oft ungünstig, wodurch viele Tiere nicht sofort tot sind. Prof. Winkelmayer verweist auf die Untersuchungen des deutschen Veterinärs Krug: Von 100 bei einer Drückjagd erlegten Wildschweinen waren etwa drei Viertel der geschossenen Tiere nicht sofort tot, sondern sie flüchteten angeschossen und oft schwer verletzt. Da mit der Nachsuche aus Sicherheitsgründen aber erst nach der Drückjagd begonnen werden könne, bedeute dies eine Verzögerung von mehreren Stunden.
»Wenn wir Tiere töten, so haben wir dies so professionell und schmerzfrei wie möglich zu tun - nicht nur am Schlachthof, sondern auch bei der Jagd!«, erklärt der Tierarzt und Amtstierarzt. Er ist überzeugt: Jäger können sich auf Dauer nicht hinter den Jagdgesetzen verstecken.
»Nach dem zeitgemäßen und auch rechtlich verankerten Tierschutzverständnis ist es jedenfalls verboten, einem Tier ungerechtfertigt Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen oder es in schwere Angst zu versetzen«, erklärt Prof. Winkelmayer. »Bei Bewegungsjagden, die vorrangig aus gesellschaftlichen Gründen erfolgen, oder solchen, die in Gattern veranstaltet werden, kann - wenn der Maßstab des Tierschutzrechts abgelegt wird - sehr rasch der Tatbestand der Tierquälerei erfüllt sein.«
»Verhängnisvolles Erbe« der Ausbeutung von Tier und Umwelt
Die moderne Wissenschaft hat zweifelsfrei nachgewiesen: Tiere sind empfindende, Freude und Schmerz verspürende Wesen - und uns Menschen ähnlicher, als gedacht: Immer mehr wissenschaftliche Studien zeigen, dass viele Tiere logisch denken, dass sie eine Vorstellung von Raum und Zeit haben, Entscheidungen treffen und fähig sind zu gezielten Problemlösungen. Und bei immer mehr Tierarten weisen Forschungen nach, dass sie über Selbstbewusstsein verfügen. Tiere zeigen ein reiches Sozialverhalten und gehen wie wir Beziehungen und Freundschaften ein. Sie können Liebe und Trauer empfinden, ja, sogar Fairness, Mitgefühl, Empathie, Altruismus und moralisches Verhalten zeigen, das über Trieb- und Instinktsteuerung weit hinausgeht.
Doch unsere Kultur schleppt ein - für Tiere und Umwelt - verhängnisvolles Erbe mit sich herum, das nur schwer wieder aus den Köpfen der Menschen herauszubringen ist, schreibt Prof. Winkelmayer: »Dass der Mensch die Krone der Schöpfung sei und alle Tiere unter seiner Herrschaft stünden, lehrten längste Zeit die großen christlichen Theologen mit Berufung auf die Bibel, allen voran Thomas von Aquin. Er vertrat die bis in die Gegenwart verbreitete Auffassung, der Mensch habe keine Verpflichtungen gegenüber Tieren, sondern das umfassende Recht, Tiere nach seinem Belieben zu verwenden und zu töten, denn nur der Mensch sei als Gottes Ebenbild geschaffen und mit Verstand ausgestattet.«
Die Folgen dieses verhängnisvollen Erbes erleben wir heute: ein dramatisches Artensterben, Zerstörung natürlicher Lebensräume, Umweltverschmutzung, Klimakatastrophen. Und dazu kommt noch die Jagd nach Trophäen bereits vom Aussterben bedrohter Tierarten.
Wie steht es nun mit Jagd und Ethik?
Heute besteht weitestgehende Übereinstimmung darüber, dass einem Tier nicht ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden dürfen. So ist es sowohl im deutschen als auch im österreichischen Tierschutzgesetz festgeschrieben.
Nun sind die Ausübung der Jagd und die Fischerei bis auf einige Ausnahmen sowohl in Deutschland als auch in Österreich vom Tierschutzgesetz ausgenommen. Doch Prof. Winkelmayer macht deutlich: Eine Gruppe - die Jäger -, die in Österreich gerade einmal etwas mehr als 1 Prozent der Bevölkerung darstellen (in Deutschland nur etwa 0,5 Prozent) könne sich nicht wirklich gegen die Grundaussagen des Tierschutzgesetzes stellen, zumal das Ziel des Tierschutzgesetzes, der Schutz des Lebens und Wohlbefinden der Tiere - und zwar aller Tiere - aus der besonderen Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf als Staatsziel festgeschrieben ist.
Prof. Dr. Rudolf Winkelmayer spricht hier aus eigenem Erleben, denn er ist den weiten Weg gegangen vom Jäger, Safarijäger, Veterinär, Amtsveterinär und gefragtem Experten über Wildfleischhygiene zum Jagdkritiker, der mit dem Tieretöten aufhörte und seine Jagdgewehre alle verkaufte, bis zum Veganer, nachdem er vor etwa 15 Jahren begann, sich intensiv mit Tierethik auseinanderzusetzen: »Ob Tiere eine Seele und Gefühle haben, kann nur fragen, wer über keine der beiden Eigenschaften verfügt, meinte einst Eugen Drevermann.«
Prof. Winkelmayer ist überzeugt: Nach aktuellem Stand der Naturwissenschaft und der Tierethik hat unser Umgang mit Tieren, sei es in der Landwirtschaft, bei Tierversuchen, in der Heimtierhaltung, bei der Jagd und bei sonstigen Wildtieren dringenden Diskussions- und Handlungsbedarf: »Die Frage nach der zeitgemäßen moralischen Behandlung von Tieren im Allgemeinen und Wildtieren im Besonderen ist nicht mehr vom Tisch zu wischen.«
»Die moralische Beurteilung der Jagd betrifft im Wesentlichen zwei Folgen für die Tiere: die Tötung und die Leidenszufügung (bzw. das Zufügen von ungerechtfertigten Schmerzen, Leiden oder Schäden und das Versetzen in schwere Angst gemäß Österreichischem Tierschutzgesetz«, schreibt Prof. Winkelmayer. »Wenn Jagd nach üblicher Definition das Aufspüren, Verfolgen und Erlegen von Wild bedeutet, führt die Verfolgung durch den Jäger beim Tier zu Angst und Stress.« Auch durch schlechte Treffer, wenn der Tod nicht unmittelbar eintritt, könne erhebliches Leiden entstehen. Dazu kommen sekundäre Leiden: Tiere leben in sozialen Verbänden oder lebenslangen Partnerschaften. Wenn also ein Tier von Jägern getötet wird, leiden Gruppen- oder Familienmitglieder unter seinem Verlust.
Dürfen Tieren vermeidbare Leiden zugefügt werden? Ist Hobbyjagd heute noch zeitgemäß?
Nun kommt der entscheidende Punkt: »Nach gängiger Auffassung in der Tierethik darf Tieren Leid nur zugefügt werden, wenn entweder das Leiden für einen bestimmten Zweck unerlässlich ist und/oder seine Zufügung ethisch vertretbar ist, das heißt, der Zweck für den Menschen von besonderer Bedeutung ist.« Und hier stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit der Jagd.
Bei aufrichtiger Betrachtung der gängigen Jagdpraktiken geraten die Jäger rasch in Argumentationsnotstand, so Prof. Winkelmayer. Er stellt die Frage: »Ist der Fang von Marder, Wiesel, Iltis & Co wirklich unabdingbar, oder ist es nicht in vielen Fällen auch Selbstzweck bzw. eine fragliche Praxis zur Erhöhung der zu erzielenden Jagdstrecke?« Oder: »Was ist mit der Baujagd? Ist sie unter dem Aspekt der zu fordernden Leidvermeidung noch zeitgemäß?« Das gleiche gelte für Treib- und Drückjagden, weil viele Tiere nicht beim ersten Schuss tödlich getroffen werden, was vermeidbares Leid bedeutet.
Auch die Jagd mit Schrotschuss auf Füchse, Hasen, Iltisse, Fasane usw. stellt der Autor infrage: »Wie viele Schüsse kommen bei der durchschnittlichen Niederwildjagd auf einen ausreichend guten Treffer, und wie viele der beschossenen Tiere kommen auch tatsächlich rasch und schmerzfrei zu Tode?« Außerdem führten die Ausreizung der technischen Möglichkeiten wie die Nachtjagd mit Nachtsichtgeräten sowie kürzere Schonzeiten zu laufend stärkerer Beunruhigung und damit Stress für die Wildtiere.
Ist die Jagd überhaupt ethisch gerechtfertigt?
Ist die Jagd aus aktueller Sicht ethisch zu rechtfertigen?
Prof. Winkelmayer schließt sich der Position des Schweizer Philosophen Prof. Dr. Markus Wild an: Tiere haben ein Recht auf Leben. Man sollte Tieren unnötiges Leid ersparen - gemäß der Goldenen Regel: »Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu.« Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass Säugetiere und Vögel, die von Jägern gejagt werden, Schmerzen empfinden. Darum sei das Interesse eines Tieres, keinen Schmerz zu haben, ein Grund, ihm weder Leid noch Schmerz zuzufügen. Die unnötige Zufügung von Schmerz verletze also das Interesse eines Tieres. Wenn ein empfindungsfähiges Tier getötet werde (schmerzlos oder nicht), werde ihm damit ein irreversibler Schaden zugefügt. Darum sei die Jagd im Prinzip ethisch nicht zu rechtfertigen.
»Die Ultima-Ratio-Jagd ist die einzige ethisch begründbare Form der Jagd«
Beide Tierethiker, Prof. Dr. Markus Wild und Prof. Dr. Rudolf Winkelmayer, sagen aber »Ja« zu einer »Ultima Ratio-Jagd«, denn es gebe durchaus Gründe für das Töten eines Wildtiers:
· Notwehr: Wenn jemand von einem Wildtier ernsthaft angegriffen wird.
· Notstand: Wenn wir versehentlich ein Wildtier schwer verletzen, können wir es sachgerecht töten.
· Wohl des betroffenen Tieres: Wenn das Leben eines Wildtieres keine Chance mehr auf überwiegend positive Erlebnisse hat, können wir es zur Schmerzlinderung töten.
· Übergeordnete Interessen: »Für Markus Wild sind übergeordnete Interessen, wie etwa die Regulation des Wildbestandes, der Schutz der Biodiversität oder die Vermeidung von Wildschäden für das Töten bei der Jagd umstritten«, erklärt Prof. Winkelmayer. »Er ortet ein generelles Problem mit übergeordneten Interessen für das Töten, weil es für ihn nicht einsichtig ist, warum ökonomische und/oder ökologische Interessen das Lebensrecht empfindungsfähiger Tiere ausstechen sollten.
Es gibt drei Arten von Jagd:
· Subsistenzjagd: Jagd, die der Mensch zum Überleben braucht. Diese Jagd brauchen wir in Mitteleuropa (derzeit) nicht.
· Hobbyjagd: Jagd als Tradition, Erholung, Trophäengewinn, Naturerlebnis. Dies sind keine übergeordneten Interessen.
· Ultima-Ratio-Jagd: Nur sie ist ethisch gerechtfertigt. Für die Ultima-Ratio-Jagd brauchen wir weder eine Revier- noch eine Patentjagd. Am besten geeignet sei eine Verwaltungsjagd (Jagdverbot für Hobbyjäger).
Weitreichende Konsequenzen für die Jagd
»Die Umsetzung dieser Gedanken hätte zugegebenermaßen weitreichende Konsequenzen für die Jagd«, erklärt Prof. Winkelmayer. »Ob überhaupt bzw. wann sich diese Meinung letztendlich durchsetzt, hängt unter anderem von der Weiterentwicklung bzw. dem Kulturfortschritt unseres Wertesystems - vor allem evolutionärer Humanismus und Aufklärung - und den jeweiligen politischen Machtverhältnissen ab.« Jedenfalls sei die Ultima-Ratio-Jagd zumindest in Mitteleuropa eine - wenn nicht sogar die einzige - ethisch begründbare Form der Jagd.
»Das Töten von Tieren aus Spaß oder zu Erholungszwecken ist aus meiner Sicht absolut abzulehnen«
Am Ende seines Buches kommt Rudolf Winkelmayer zu dem Schluss: »Der Tod schadet jedem Lebewesen, er nimmt die potentiellen Möglichkeiten der Zukunft weg - unabhängig davon, ob es eine Vorstellung von der Zukunft hat oder nicht!« Natürlich ist er sich des Dilemmas bewusst, dass wir nicht im Paradies leben: »Wir können unser eigenes Leben immer nur auf Kosten anderer führen, und es wird uns auch nicht gelingen, dieses Leben völlig widerspruchsfrei zu leben. Das entbindet uns aber dennoch nicht der Verantwortung, so wenig Tod und Leid wie möglich zu verursachen.«
Ethische Entscheidungen seien immer sehr persönliche Entscheidungen und hingen ganz wesentlich vom eigenen Weltbild ab. Dennoch: »Das Töten von empfindungs- und leidensfähigen Tieren aus Spaß oder zu Erholungszwecken ist aus meiner Sicht absolut abzulehnen.«
Das Buch
Rudolf Winkelmayer: Ein Beitrag zur Jagd- und Wildtier-Ethik 200 Seiten, broschiert. Sternath Verlag, Mallnitz, 2022. Preis: 20 Euro Hier bestellen: www.sternathverlag.at |
Interview mit Prof. Dr. Rudolf Winkelmayer: Vom Jäger zum Tierschützer
Mit 16 machte er den Jagdschein, 37 Jahre lang ging er auf die Jagd. Dann hörte er von einem Tag auf den anderen mit dem Tieretöten auf. FREIHEIT FÜR TIERE sprach mit dem Veterinär Prof. Dr. Rudolf Winkelmayer über seine Erfahrungen und die Gründe, warum er mit der Hobbyjagd Schluss gemacht hat.
»Freiheit für Tiere«: Ihre Geschichte ist ungewöhnlich: Sie stammen aus einer Jägerfamilie und waren Jäger von Jugend an, Sie gingen jahrzehntelang auf die Jagd, machten mit Jagdfreunden Jagdreisen ins Ausland, waren im Jagdverband gut vernetzt, hielten Vorträge und schrieben Fachbücher über Wildfleischverarbeitung... und dann hörten Sie von einem Tag auf den anderen auf mit dem Schießen von Tieren und verkauften alle Ihre Gewehre. Wie kam es dazu?
Rudolf Winkelmayer: Die Entscheidung, endgültig mit der Jagd aufzuhören, hat natürlich eine Vorgeschichte. Ich war sehr stark mit dem Tod konfrontiert: erstens bei der Jagd, zweitens als Amtstierarzt bei den Kontrollen an Schlachthöfen und drittens als praktizierender Fachtierarzt für Kleintiere bei der Euthanasie von Lieblingstieren, hauptsächlich Hunden und Katzen, für die ein Weiterleben nur mehr aussichtslose Qualen bedeutet hätte.
Ich habe nach Antworten gesucht, inwieweit wir töten dürfen und dies rechtfertigen können. Diese Antworten habe ich schließlich in der Philosophie, insbesondere der Tierethik, gefunden, mit der ich mich von da an intensiv beschäftigte. Die Quintessenz lautet: Versuche, für so wenig Tötungen wie möglich verantwortlich zu sein. Das bewusste Quälen und Töten von Tieren ist - bei intellektueller Redlichkeit nach heutigem Stand unseres Wissens - nicht zu rechtfertigen.
»Freiheit für Tiere«: Gab es ein Schlüsselerlebnis?
Rudolf Winkelmayer: Ich machte eines Tages im Frühling eine Radtour über die Feldwege rund um meinen Heimatort. Dabei sah ich einige Junghasen, die übermütig und voll Lebensfreude in der milden Frühlingssonne spielten. Da dachte ich mir: Genau hier gehe ich ja im Herbst auf Niederwildjagd. Nein, das kann nicht sein, ich werde mich nicht mehr an der Tötung dieser und anderer Wildtiere beteiligen. Aus, Schluss!
»Freiheit für Tiere«: Wie haben Ihre ehemaligen Jägerkollegen reagiert?
Rudolf Winkelmayer: Da gibt es zwei Gruppen: Die diskursfähigen, sensiblen, empathischen Menschen beginnen zumindest nachzudenken und ihr Handeln zu hinterfragen. Das ist - wie bei mir selbst - ein langer, mühsamer Weg, der nicht sofort zum Aufgeben der Hobbyjagd führt, aber zumindest eindeutig seine Spuren in Richtung waidgerechterer Jagdausübung und deutlicher Reduktion der Jagd führt.
Die andere Gruppe reagiert total ablehnend, von beleidigt bis aggressiv, nicht wirklich diskursfähig, da für sie das aus der Psychologie bekannte Phänomen der kognitiven Dissonanz zutrifft, mit dem sie nicht zurecht kommen wollen oder können. Ihr selbst zusammengebasteltes Weltbild würde zusammenbrechen, wenn sie sich ernsthaft den von mir aufgeworfenen Fragen stellen würden.
»Freiheit für Tiere«: Die Jagd ist ein Hobby, das nur etwa 1,5 Prozent der Bevölkerung in Österreich und nur etwa 0,5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland ausüben. Die große Mehrheit der Bevölkerung steht der Jagd - vor allem Jagdarten wie der Fallenjagd, der Gatterjagd, der Auslandsjagd oder dem Abschuss von Hunden und Katzen - inzwischen kritisch gegenüber. Doch warum lässt eine entsprechende Reformierung der Jagdgesetze so lange auf sich warten?
Rudolf Winkelmayer: Ich kann das nur auf kurzsichtigen, aber sehr starken Lobbyismus zurückführen. Schließlich sitzen viele Hobbyjäger in höchsten Positionen und in politischen Ämtern. Der Mensch lebt bequem mit seinen Gewohnheiten und will nichts ändern, so lange er nicht dazu gezwungen wird oder einen Vorteil davon hat. Und bekanntlich hinkt ja die Gesetzgebung immer mindestens ein bis zwei Jahrzehnte hinter den wissenschaftlichen Erkenntnissen hinterher.