Das reiche emotionale Leben der Fische
Von Dr. Jonathan Balcombe (Autor des Buches »Was Fische wissen«)
Fische haben Persönlichkeiten. Sie planen, erkennen, erinnern sich, umwerben einander, haben Familiensinn, sind innovativ, können manipulieren und depressiv werden. Warum behandeln wir sie so schlecht?
Mantarochen gelten als die Schimpansen der Meere.
Sie haben das größte Gehirn aller Fische, gelten als die sozialsten Fische und verhalten sich wie Meeressäuger. Sie sind neugierig, verspielt und interagieren mit Tauchern. Sie kommunizieren mittels Geräuschen, die sie mit den Flügeln erzeugen. Die Spannweite der Flügel, mit denen sie durch das Wasser zu fliegen scheinen, ist bis zu fünf Metern groß. Mantas sind sehr friedliche Tiere und ernähren sich von Plankton. Hier schwimmt ein Adlerochen mit einer Gruppe von Makrelen. · Bild: Shutterstock
Vor einigen Jahren stellten Wissenschaftler der Universität von Tennessee merkwürdiges Verhalten bei drei männlichen Cichlidenfischen (Buntbarschen) in Gefangenschaft fest. Jeder Fisch, der alleine in einem Aquarium schwamm, interagierte mit einem 12cm großen Schwimmerthermometer. Sie stupsten und stießen das Objekt mit ihren Nasen auf eine Art und Weise an, die für jeden Fisch typisch ist. Wenn dadurch Thermometer und Aquarium-Glas zusammenstießen, war das laut genug, um im Nebenraum gehört zu werden. Während 12 Beobachtungssitzungen gab es über 1.400 Interaktionen zwischen Fisch und Thermometer.
Spielten die Fische? Zu diesem Ergebnis gelangte das Forscherteam anhand mehrerer Kriterien für das Spielen bei Tieren: Es handelte sich um freiwilliges Verhalten. Es ging nicht um einen klaren Überlebenszweck wie Füttern, Paaren oder Kämpfen. Es kam wiederholt vor, aber nicht neurotisch; und es wurde nur durchgeführt, wenn die Fische nicht gestresst oder verängstigt waren.
Bei zwei Besuchen in einem aufgearbeiteten Feuchtgebiet in Südflorida war ich Zeuge von spielerischem Verhalten bei Fischen: Kleine Elritze (Kleinfische aus der Familie der Karpfen) hüpften über schwimmende Zweige und Schilfhalme - ein spielerisches Verhalten, von dem viele Menschen immer wieder berichtet haben.
Spielen ist nichts, das wir normalerweise mit Fischen assoziieren. Aber wenn wir tiefer in das komplexe Leben dieser so vielfältigen Wirbeltierart eintauchen, sollten wir uns nicht wundern, dass ein Fisch sich ausgelassen fühlen kann. Im Laufe des letzten Jahrhunderts hat die Wissenschaft eine Fülle von Fischleistungen nachgewiesen, die mit denen anderer Wirbeltiere, einschließlich der dafür berühmten Säugetiere und Vögel, mithalten können.
Fische und Gefühle
Einige dieser Fähigkeiten, einschließlich des Spiels, fallen unter die Kategorie der Emotionen. Eine der überzeugendsten Demonstrationen von Emotionen in einem Fisch ist eine Studie mit 32 Doktorfischen, die vorübergehend am Great Barrier Reef gesammelt wurden. Nachdem jeder Fisch durch 30 Minuten Aufenthalt in einem flachen Eimer mit Wasser gestresst war, wurde er einzeln einem Aquarium zugeordnet, das mit einem realistischen Modell eines Putzerlippfisches ausgestattet war, einer bekannten Fischart am Great Barrier Reef. In der Hälfte der Aquarien stand das Modell still, die anderen Aquarien enthielten ein motorisiertes Modell, das sich in einer sanften Streichelbewegung vor und zurück bewegte.
Gestresste Fische wurden von dem sich bewegenden Modell angezogen wie Kinder von Schokolade. Während zwei einstündigen Aufenthalten in den ihnen zugewiesenen Aquarien waren durchschnittlich fünfzehn Besuche des Fake-Lippfisches zu verzeichnen, von denen sie gestreichelt wurden, als sie sich daran lehnten. Fische, die dem unbeweglichen Lippfisch zugeordnet waren, ignorierten ihn: null Besuche. Der Stresspegel (gemessen als Cortisol aus einer kleinen Blutprobe aus der Schwanzvene) sank bei den gestreichelten Fischen viel schneller ab. Das Forscherteam gelangte zu dem Schluss, dass Doktorfische durch Streicheleinheiten einen wirksamen Stressabbau erhalten. Kommt Ihnen das bekannt vor?
Putzerfische sind sozial überaus kompetent.
Sie erkennen andere Fische individuell und kommunizieren mit ihren »Kunden«. Beim Anschwimmen der »Kunden« geben sich die Putzerfische durch ihre Färbung mit einem auffallenden Längsstreifen und einer charakteristische Schwimmweise zu erkennen. Die »Kunden« zeigen ihr Interesse an einer Säuberung zum Beispiel durch das Abspreizen der Flossen, das Öffnen des Mundes oder durch völliges Stillhalten. · Bild: Shutterstock
Sie fragen sich vielleicht, warum ein Fisch weiß, dass sich die Behandlung durch Putzerlippfisch gut anfühlt. Putzerlippfische sind an Riffen weltweit für ihre symbiotischen Beziehungen zu über hundert bekannten Arten von so genannten Kundenfischen bekannt. Die Kunden kommen vorbei, um die Reinigungskräfte zu besuchen, welche Parasiten und andere unerwünschte Stoffe aus ihrem Körper entfernen. Es ist ein für beide Seiten vorteilhaftes Geschäft: Die Reinigungskräfte erhalten Lebensmittel, und die Kunden erhalten eine Wellness-Behandlung.
Es ist jedoch nicht einfach, gute Beziehungen zu Kunden zu gewinnen und aufrechtzuerhalten. Manchmal betrügt ein Reiniger, indem er eine Menge nahrhaften Schleims aus dem Körper des Kunden nimmt. Die Kunden mögen das nicht und können Reinigungskräfte bestrafen, indem sie ihnen nachjagen oder einfach mit einer anderen Reinigungsstation am Riff ein Geschäft eingehen. Andere Kunden, die warten, bis sie an der Reihe sind, können sehen, was gerade passiert, und so auch eine schlechte Dienstleistung erkennen. Putzer brauchen treue Kunden, damit ihr Geschäft floriert, und manchmal schmeicheln sie ihren Kunden, indem sie mit ihren Brustflossen rasch flattern. Doktorfische wissen das, ganz klar. Kein Wunder, dass die gut untersuchte Reiniger-Kunde-Wechselbeziehung als machiavellistisch beschrieben wurde.
Fische erkennen sich im Spiegel
Trotz ihrer geringen Größe - nur wenige Zentimeter lang - gehören Putzlippfische zu den intelligentesten unter den Fischen. Sie behalten den Überblick über einzelne Kunden und können anhand der letzten Besuche des Kunden abschätzen, wie viele Parasiten sie möglicherweise finden.
Eine Studie aus dem Jahr 2018 ergab, dass sich Putzlippfische auch im Spiegel zu erkennen scheinen. Als die Wissenschaftler einen Tupfer farbiges Gel auf die Köpfe von acht Lippfischen auftrugen, so dass die Markierung nur im Spiegel sichtbar war, verbrachten sieben Lippfische vor dem Spiegel mehr Zeit in Positionen, an denen der Fleck in ihrem Spiegelbild sichtbar war. Und mehrere versuchten, den Makel zu entfernen, indem sie ihren Körper in Gegenwart des Spiegels an Gegenständen ihrer Umgebung rieben. Diese Reaktionen deuten darauf hin, dass diese Fische sich ihrer selbst bewusst sind - eine hochentwickelte mentale Eigenschaft.
Das Leiden der Fische
Dies sind nur einige Beispiele für das Bewusstsein, die Emotionen und die Intelligenz von Fischen. Und während die Fähigkeiten einer Art - oder eines Individuums - nicht unbedingt die einer anderen voraussagen, weisen die Fische insgesamt ein breites Spektrum an Fähigkeiten auf: Fische haben Persönlichkeit, sie planen, erkennen, erinnern sich, werben umeinander, erziehen ihre Kinder, sind innovativ, können manipulieren und kooperieren, sie kommunizieren mit Gesten, führen Buch, können Rückschlüsse ziehen, andere täuschen, zeigen Tugend, gehen soziale Bindungen ein, haben Traditionen, fallen auf optische Täuschungen herein, können Depressionen bekommen, benutzen Werkzeuge, lernen durch Beobachtung und bilden mentale Karten.
Daraus folgt, dass sie einige ethische Beachtung von uns verdienen - aber leider bleiben unsere derzeitigen Praktiken weit dahinter zurück. Zu den Methoden der kommerziellen Fischerei gehören Ersticken, Quetschen, Ausbluten und Dekompression von Fischen - gemessen als Tausende von Tonnen, und nicht als Hunderte Milliarden von Individuen, die sie in Wirklichkeit sind.
Unsere Sicht und Denkweise über Fische ändern
Aus diesen Gründen hat Compassion In World Farming die »Rethink Fish«-Kampagne (also sinngemäß eine Kampagne, um unsere Denkweise über Fische ändern) ins Leben gerufen, um das Bewusstsein für das Empfinden der Fische zu stärken und Tierschutz-Reformen anzustoßen. Die Kampagne fördert nicht nur die notwendige Änderung des kommerziellen Umgangs mit Fischen, sondern ermutigt die Verbraucher auch, weniger oder noch besser gar keine Fische zu essen. In einer Zeit der Überbevölkerung und des Verlusts der biologischen Vielfalt können wir es uns nicht leisten, so weiterzumachen, wie wir es jetzt tun. Der Klimawandel, die Verschmutzung und Versauerung der Ozeane und das Sterben von Korallen gehören zu den schwerwiegenderen miteinander verbundenen Problemen, die alle in irgendeiner Weise mit Entscheidung zusammenhängen, was wir essen. Wenn ein Doktorfisch oder ein Putzerlippfisch mit ihren Flossen schlagen könnten, um eine Veränderung in unseren Beziehungen zu Fischen und ihren Lebensräumen herbeizuführen, würden sie dies zweifellos tun.
Quelle:
Jonathan Balcombe: Playing, Courting, And Vanity: The Rich Emotional Lives Of Fish. Veröffentlicht am 3.3.2019 auf plantbasednews.org
Der Artikel ist Teil der Kampagne» Rethink Fish« der Tierschutzorganisation» Compassion In World Farming«
www.ciwf.org.uk/our-campaigns/rethink-fish/
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Der Autor
Dr. Jonathan Balcombe ist Verhaltensbiologe. Er hat über 50 wissenschaftliche Arbeiten über das Verhalten von Tieren und Tierschutz sowie verschiedene Bücher zum Thema verfasst und ist ein gefragter Experte für das Empfindungsvermögen von Tieren. |
Das Buch: "Was Fische wissen"
Wussten Sie, dass Fische lebenslange Beziehungen pflegen, miteinander kommunizieren, strategisch denken, Werkzeuge benutzen, ein musikalisches Gehör haben und sogar Kunst schaffen können? |