Der Igel: Liebenswerter Gast in unseren Gärten
Igel kommen auf der ganzen Welt vor.
In Europa sind der Nördliche Weißbrustigel und der Braunbrustigel heimisch. Igel benötigen eine Kombination von Strukturen, die Versteckmöglichkeiten bieten, offene Bereiche, welche zur Nahrungssuche genutzt werden können, sowie trockene Laubblätter, welche benötigt werden, um Schlafnester zu bauen · Bild: Coatesy · Shutterstock.com
Buchvorstellung von Julia Brunke, Redaktion FREIHEIT FÜR TIERE
Igel sind beliebte Gäste in unseren Gärten und lassen sich vielerorts in den Abendstunden beobachten. Doch was wissen wir eigentlich über unsere stacheligen Nachbarn? Wussten Sie, dass Igel im Garten Schädlinge vertilgen, unter anderen Schnecken? Wussten Sie, dass Igel ein hervorragendes Ortsgedächtnis haben? Wussten Sie, dass die Zahl der Igel in vielen europäischen Ländern zurückgeht? Das Buch »Der Igel - Nachbar und Wildtier« der Biologinnen und Igelexpertinnen Anouk-Lisa Taucher und Madeleine Geiger gibt einen Einblick in die Biologie und Ökologie des Igels und entführt uns in das nächtliche Leben in unseren Gärten.
Braunbrustigel und Weißbrustigel
Igel kommen auf der ganzen Welt vor. In Europa sind der Nördliche Weißbrustigel und der Braunbrustigel heimisch. Der Braunbrustigel kommt in ganz West- und Mitteleuropa vor. Er besiedelt die Iberische Halbinsel, England, Irland und viele der schottischen Inseln sowie die Mittelmeerinseln Korsika, Sardinien und Sizilien. Die östliche Verbreitungsgrenze verläuft durch das östliche Österreich, Tschechien und entlang der Westgrenze Polens. Im Nordosten lebt er in Skandinavien bis 65 nördlicher Breite und in Teilen Russlands bis Sibirien.
Der Nördliche Weißbrustigel ist von Osteuropa und dem nördlichen Kaukasus bis nach Westsibirien heimisch. Dabei gibt es eine Überlappungszone zum Siedlungsgebiet des Braunbrustigels, die durch Italien, Österreich, Tschechien und entlang der Grenze zwischen Polen und Deutschland verläuft.
Der Braunbrustigel und der Weißbrustigel sind äußerlich nur schwer zu unterscheiden. Beide Igelarten sind etwa gleich groß und gleich schwer. Die Schnauze des Weißbrustigels ist eher länger und schmaler als die des Braunbrustigels. Wie der Name schon verrät, haben Weißbrustigel in fast allen Fällen einen weißen Fleck auf der Unterseite im Bereich der Kehle und der Brust. Doch auch Braunbrustigel können im Bauch-/Brustbereich ebenfalls hell gefärbt sein, sie haben jedoch meist einen braunen Fleck im Bereich der Kehle. Die beiden Arten auseinander zu halten, wenn man die Tiere im Freien beobachtet, ist also schwierig , schreiben die Igelforscherinnen.
Da der Braunbrustigel die einzige Igelart in Deutschland, der Schweiz und dem westlichen Teil von Österreich ist, können wir also davon ausgehen, dass es sich bei dem Besucher in unserem Garten um einen Braunbrustigel handelt. In Wien allerdings könnte man nicht ganz sicher sein, da hier die östliche Überlappungszone zum Weißbrustigel verläuft.
Igel sind etwa 20 bis 30 Zentimeter lang. Einjährige Igel wiegen rund 450 bis 680 Gramm, ältere Tiere sind meist schwerer. Im Herbst, vor dem Winterschlaf, können sie 800 bis 1.500 Gramm wiegen. Nach dem Winterschlaf, wenn alle Fettreserven aufgebraucht sind, können sie auf 350 Gramm abgemagert sein.
Die Stacheln - der perfekte Schutz
Das Auffälligste am Igel ist natürlich sein Stachelkleid. Ausgewachsene Igel besitzen zwischen 5.000 und 8.700 Stacheln, erfahren wir in dem Buch. Die Stacheln sind 2 bis 3 Zentimeter lang und cremeweiß und schokoladenbraun gefärbt. Sie bedecken den oberen Teil des Kopfes, den gesamten Rücken und die Seiten des Igels. Bauch, Beine und Gesicht haben keine Stacheln, das wäre beim Zusammenrollen unpraktisch. »Die Stacheln des Igels sind umgewandelte Haare, bestehen also aus Keratin«, erklären die Biologinnen. Keratin ist ein steifes, jedoch flexibles Material, das auch in Fingernägeln und Krallen zu finden ist. Die Stacheln sind außerdem hohl und dadurch leicht, aber dank innerer, mikroskopisch kleiner Längsstreben und Scheidewände trotzdem stabil und bruchresistent.
Igel können sich sekundenschnell zu einer Stachelkugel zusammenrollen. Sie verfügen über ein spezialisiertes Hautmuskelsystem. Das sind Muskeln, die für die Bewegung der Haut und nicht des Skelettes zuständig sind. Wenn sich ein Igel bedroht fühlt, wird jeder einzelne Stachel aufgestellt, vergleichbar mit »Gänsehaut« bei uns Menschen. Jetzt stehen die sonst glatt anliegenden Stacheln des Igels in alle Richtungen kreuz und quer ab und bilden so eine gute Abwehr.
Bei größerer Gefahr zieht sich ein Muskel über der Stirn zusammen. »Es handelt sich dabei um denselben Muskel, den wir benutzten, wenn wir die Stirn in Zornesfalten legen und einen bösen Blick aufsetzen«, erfahren wir weiter. Dadurch wird das Stachelkleid zur Schnauze hingezogen, um das Gesicht zu schützen, wobei gleichzeitig freie Sicht auf die Gefahr gewährleistet bleibt. Außerdem wird die Stachelhaut über Füße und Schwanz gezogen.
Meist bleibt ein Igel in dieser passiven Abwehrhaltung, bis sich die Gefahr verzogen hat. Igel können aber auch leicht aufhüpfen und so einem Fuchs oder Hund empfindlich in die Nase stechen. Nur bei direktem Körperkontakt, wenn er aufgehoben oder umgeschubst wird, rollt sich der Igel völlig ein - er wird zu einem regelrechten Nadelball. Wenn nötig, kann ein Igel über Stunden in dieser Position verharren, was eine wirkungsvolle Verteidigung gegen die meisten Angreifer darstellt. Allerdings können der Dachs und der Uhu mit ihren langen und starken Klauen das Nadelkleid des Igels durchdringen. Und auch gegen Autos und nachts fahrende und Mährobotter nützt die Verteidigungsstrategie des Igels nicht.
Übrigens wirkt das Einigeln nicht nur zur Abwehr von Feinden, sondern dient auch als Stoßdämpfer bei Stürzen oder Sprüngen, weil die Kraft des Aufpralls auf die vielen Stacheln verteilt wird und sich so verringert.
Bei der Geburt liegen die Stacheln des Igels noch unter der Haut - sie treten kurz nach der Geburt zutage. Neugeborene Igel besitzen etwa 110 völlig weiße Stacheln. Im Alter von 6 bis 7 Wochen fallen die Säuglingsstacheln aus und die zweite Stachelgeneration wächst nach ungefähr 2 bis 5 Tagen nach. Bis ein Igel ausgewachsen ist, wird das Stachelkleid drei Mal gewechselt. Bei erwachsenen Igeln werden die Stacheln nicht auf einmal ausgewechselt, sondern sie wachsen - ähnlich wie bei uns die Haare - immer wieder nach.
Können Igel rennen und schwimmen?
Obwohl Igel etwas plump wirken, können sie auch rennen. Läuft der Igel schneller, sieht man die recht langen Beine. Die Hinterbeine sind etwas länger als die Vorderbeine und ermöglichen besseren Antrieb beim Rennen. Der Igel kann auch Hindernisse überwinden. Die Vorderbeine, mit denen er gräbt und sein Nest baut, sind kräftiger als die Hinterbeine. Igel haben an allen vier Füßen fünf Zehen. Sie sind Sohlengänger und setzen den gesamten Fuß am Boden ab. Ihre Pfotenabdrücke erinnern an kleine menschliche Handabdrücke.
Igel können übrigens ziemlich gut schwimmen. Sie sind nicht wasserscheu und schwimmen auch einmal durch ein Gewässer, um den Weg abzukürzen. Dass Igel in Gartenteichen oder Swimming Pools ertrinken, liegt daran, dass sie bei Becken oder steilen Rändern keinen Ausstieg mehr finden.
Was essen Igel?
Igel sind Insektenfresser, wobei sie nicht nur Insekten essen. Ihre Schnauze ist sehr beweglich, wie ein kleiner Rüssel. Damit futtern sie, was ihnen vor die Nase kommt: Insekten, Käfer, Würmer, Nacktschnecken, Spinnen, Aas, aber auch ein wenig Beeren, Früchte oder Pilze.
Igel sind bekanntlich nachtaktiv. Wenn sie nachts unterwegs sind, sind sie meist mit der Nahrungssuche beschäftigt. Dabei schnüffeln und schmatzen sie. Ihre Beute schnappen sie mit den Zähnen, buddeln sie aus der Erde oder auch aus dem Unterholz oder einer Laubschicht.
Ein Igel mit einem Körpergewicht von 500 bis 700 Gramm muss jede Nacht etwa 90 Gramm Nahrung zu sich nehmen. Da in den Magen eines Igels aber nur etwa 30 Gramm passen, muss dieser pro Nacht mindestens zwei Mal gefüllt und wieder geleert werden. Wenn sich ein Igel also den Bauch vollgeschlagen hat, ruht er, um zu verdauen, und geht später noch einmal auf Nahrungssuche.
Soll ich Igel füttern?
Igel sind Wildtiere, die in ihrem Lebensraum eigenständig und ausreichend Nahrung finden. Daher sollte man Igel generell nicht füttern. Eine Hilfe für Igel ist das Bereitstellen einer flachen Wasserschale, die täglich gereinigt wird. Diese wird in warmen Sommern auch von anderen Tieren geschätzt.
Findet man im Spätherbst einen jungen Igel mit weniger als 500 Gramm Körpergewicht, kann man ihm helfen, indem man Futter bereitstellt. Die Fütterung sollte gestoppt werden, sobald der Igel das nötige Gewicht erreicht hat. Beachtet man diese Regeln nicht, kann es vorkommen, dass bei konstanter Nahrungsverfügbarkeit ein Igel verspätet mit dem Winterschlaf beginnt, was ihm nicht gut bekommt , so die Igelexpertinnen.
Igel sollten keinesfalls mit Milch/Milchprodukten gefüttert werden, dies kann zu Durchfall oder zu einer Entzündung des Magens oder des Verdauungstrakts führen. Auch süße und salzige Lebensmittel sowie pflanzliche Nahrung sind nichts für Igel. »Der natürlichen Nahrung am nächsten kommen feuchtes Katzen- und Hundefutter, wobei auch hier erwähnt werden muss, dass dies nicht dem Nährwert der natürlichen Ernährung von Igeln entspricht«, erklären die Biologinnen. Wenn man Igel anlocken möchte, um sie zu beobachten, wird empfohlen, sie nicht regelmäßig zu füttern, sondern zeitlich zu beschränken und auch nur kleine Mengen zu füttern.
Igel sammeln Pflanzenmaterial,
um ihr Nest auszupolstern. Der Verlust von Lebensräumen gehört zu den wichtigsten Gefahren für Igel. Wir können Lebensräume für Igel schaffen, indem wir in unserem Garten ein bisschen mehr naturnahe Wildnis zulassen: Wildblumenwiesen für die Insektenvielfalt, »wilde Ecken«, Asthaufen und Blätterhaufen, in denen sich Igel tagsüber verkriechen können. · Didier-Jeannin_nosvoisinssauvages.ch · Aus: der Igel. Haupt-Verlag, 2021
Wo leben Igel?
»Igel benötigen eine Kombination von Strukturen, die Versteckmöglichkeiten bieten, offene Bereiche, welche zur Nahrungssuche genutzt werden können, sowie trockene Laubblätter, welche benötigt werden, um Schlafnester zu bauen«, erfahren wir in dem Buch. »Besonders Übergangsgebiete zwischen verschiedenen Lebensräumen (z.B. Waldränder, Wegsäume, Hecken, strukturreiche Gärten) werden von Igeln gerne aufgesucht, da dort die Vielfalt an Insekten und anderen Wirbellosen am größten ist.«
Offene Laubwälder und kleinräumig strukturierte Landschaften mit Hecken, feuchtem Grasland und extensiv bewirtschafteten Landwirtschaftsgebieten waren die ursprünglichen Lebensräume des Igels. Solche Lebensräume sind aber in Europa nur noch selten anzutreffen. Durch die Intensivierung der Landwirtschaft gingen die nötigen Kleinstrukturen verloren, die Igel als Versteckmöglichkeiten und Neststandorte brauchen. Durch den immer mehr zunehmenden Einsatz von Pestiziden ging außerdem die Nahrungsgrundlage für Igel immer mehr verloren.
Als Folge sind Igel in die Dörfer und Städte gezogen, wo sie in Gärten und Parks neue Lebensräume fanden, wenn diese genügend naturnahe Strukturen wie dichte Hecken, Blumenbeete und offene Bereiche mit Wiesen und Rasen für die Futtersuche aufweisen.
Was benötigt der Igel für den Nestbau?
Igel bewohnen im Laufe des Jahres unterschiedliche Nester: das Sommernest, das Winternest und das Nest für die Jungenaufzucht. Vor allem das Winternest besteht aus sorgfältig gebauten Strukturen. Dafür sammelt der Igel vor allem Laub mit dem Mund und trägt sie unter einer Hecke, unter einem Asthaufen oder unter einem Gartenhäuschen zusammen. In der Mitte des Laubhaufens formt der Igel einen Hohlraum. Viele Nester werden innen mit weichen Materialien wie Moos oder Gras ausgepolstert. Das Nest hat einen Durchmesser von bis zu 60 Zentimetern, wobei die Wände, meist aus gepresstem Laub zur Wärme-Isolation, bis zu 20 Zentimeter dick sein können.
Laub ist also besonders wichtig für den Winterschlaf, weshalb Forscher vermuten, dass in vielen Gebieten fehlendes Nestmaterial dazu führt, dass es weniger Igel gibt, obwohl genug Nahrung vorhanden wäre.
Für kleine Fußgänger wie den Igel
kann eine kleine Mauer bereits ein Hindernis sein. Dank ihres hervorragenden Ortsgedächtnisses kommen Igel in Siedlungslabyrinthen gut mit Durchgängen und Durchschlüpfen zurecht. Schaffen Sie also Zugänge zu Ihrem Garten: Durchschlüpfe durch Zäune, Mauern und Hecken oder »Igeltreppen«. · Didier-Jeannin_nosvoisinssauvages.ch · Aus: der Igel. Haupt-Verlag, 2021
Was kann ich für Igel tun?
Im eigenen Garten ist es sehr einfach, etwas für Igel zu tun: »Lassen Sie wenn möglich der Natur in einigen Ecken Ihres Gartens freien Lauf«, empfehlen die Biologinnen. »Igel lieben wilde Ecken, in denen sie sich tagsüber verkriechen können und wo sie nachts dank einer großen Insektenvielfalt ausreichend Futter finden.«
So sieht ein idealer Igel-Lebensraum aus:
> Legen Sie Hecken, Büsche, Asthaufen an, welche die Igel als Versteck und zum Nestbau nutzen. Lassen Sie im Herbst die Blätter unter Sträuchern liegen oder rechen Sie sie zu Haufen zusammen, welche Sie mit Ästen beschweren können.
> Gestalten Sie Ihren Garten insektenfreundlich durch blühende Stauden, Blumenrasen oder Blumenwiesen, Bäume, Büsche und Hecken und verzichten Sie auf den Einsatz von Pestiziden. Lassen Sie im Herbst die Samenstände und in Randbereichen das Gras stehen. Sie dienen vielen Insekten und deren Larven als Überwinterungsgelegenheit.
> Stellen Sie Wasser zum Trinken bereit (z.B. Wasserschale, in der das Wasser am besten täglich gewechselt wird).
> Sorgen Sie dafür, dass Ihr Garten für Igel zugänglich ist: Hecken sind durchlässig, Zäune mit Durchschlupf, Mauern mit Loch oder »Igeltreppe«.
Artporträt mit Ratgeber für den Igelschutz
Das Buch »Der Igel - Nachbar und Wildtier« versteht sich als eine Zusammenfassung aus der wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Literatur sowie aus Berichten aus der Wildtierbiologie. Interviews mit Forscherinnen und Forschern, Betreibern einer Igelauffangstation und Igel-Fachpersonen zu Igelpflege und Gartengestaltung (darunter eine Anleitung zum Anlegen eines Igelverstecks) runden das Buch ab.
Die Autorinnen
SWILD
SWILD - Stadtökologie, Wildtierforschung, Kommunikation - ist eine unabhängige Forschungs- und Beratungsgemeinschaft von Biologinnen und Biologen in der Schweiz. Der non-profit Verein arbeitet seit 1989 in den Bereichen Stadt- und Siedlungsökologie, Wildtierforschung, Naturschutz und Kommunikation. |