Geplantes Tierwohl-Label: Verbrauchertäuschung?
Von Lisa Kainz, Agrarwissenschaftlerin, Fachreferentin für Tiere in der Ernährungsindustrie bei der Tierrechtsorganisation PETA
Mit einem staatlichen »Tierwohlkennzeichen« will das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) Deutschland in Sachen Tierwohl in der Schweinehaltung zum Vorreiter machen. [1] Tatsächlich handelt es sich jedoch nur um ein weiteres Siegel, das dem Verbraucher beim Kauf von Schweinefleischprodukten das schlechte Gewissen nehmen soll.

Allein in Deutschland
werden jedes Jahr rund 55 Millionen Schweine wegen ihres Fleisches getötet. Über 99 Prozent leben in der konventionellen Tierhaltung. Der gesetzlich vorgeschriebene Platz für ein Schwein beträgt weniger als ein Quadratmeter, nämlich nur 0,75 m². Bereits mit 0,9 m² - immer noch ein Leben lang weniger als ein Quadratmeter Platz - gibt es die erste Stufe des »Tierwohl-Labels« verliehen. · Graphik: PETA
Laut Bundeslandwirtschaftsministerium ist das geplante Tierwohlkennzeichen eine Auszeichnung für Produkte, die über die gesetzlichen Vorgaben hinaus für mehr Tierwohl in der Intensivtierhaltung stehen. Somit können Produkte das Label erhalten, sobald die gesetzlichen Mindestanforderungen bei der Tierhaltung auch nur geringfügig überschritten werden. Das Siegel soll den Verbraucher eigentlich über verbessertes Tierwohl informieren und einen Unterschied erkennbar machen. [2]
Tatsächlich wird der Konsument jedoch nicht darüber aufgeklärt, in welchem Ausmaß die Tiere von Verbesserungen profitieren. Und für die Schweine unterscheiden sich die Lebensbedingungen zwischen einer Haltung, die mit dem Tierwohlkennzeichen ausgezeichnet wird, und der herkömmlichen Tierhaltung kaum.
Das für die Industrie freiwillige Label sollte 2020 zunächst für Schweinefleisch eingeführt werden, bevor es auch für die Rinder- und Geflügelhaltung umgesetzt wird. Bisher sind noch keine mit dem Tierwohlkennzeichen versehenen Fleischprodukte im Handel erhältlich. Bekannt ist jedoch, dass die Kennzeichnung drei Stufen umfassen wird, die den Verbraucher über die Haltungsbedingungen von der Geburt des Tieres bis zur Tötung im Schlachthof informieren sollen. [3]

Schweinezucht.
Jedes einzelne der 55 Millionen Schweine fristet ein qualvolles Dasein in einer der vielen Schweinezucht-, Ferkelaufzucht- oder Schweinemastanlagen. Dabei ist es ganz egal, ob Schweine in industriellen Großanlagen gehalten werden oder beim »Bauern von nebenan«: Sie sind lediglich Produktionsgüter. · Bild: PETA
Label gaukelt mehr Tierwohl vor - doch »Mehr Platz« bedeutet weiterhin fast kein Platz
Das staatliche Tierwohlkennzeichen soll dem Verbraucher aufzeigen, bei welchen Produkten höhere als die gesetzlichen Standards bei Haltung, Transport und Schlachtung von Tieren eingehalten werden. [3] Mit dem dreistufigen System wird dem Verbraucher Transparenz bezüglich der verschiedenen Haltungsformen in der Schweinemast vorgegaukelt. So wird beispielsweise mit mehr Platz und Beschäftigungsmöglichkeiten für die Tiere geworben, obwohl die Umsetzungen sich kaum von den Mindeststandards unterscheiden.
Betriebe der Stufe 1 erhalten mit dem Label eine »Auszeichnung « obwohl das grausame Kupieren der Ringelschwänze weiterhin erlaubt ist und für jedes Schwein lediglich eine Fläche von 0,9 Quadratmeter eingeplant werden muss. [4]
In Stufe 3, der höchsten Stufe, hat ein 100 Kilogramm schweres Schwein statt der gesetzlich vorgeschriebenen 0,75 Quadratmeter beispielsweise 2 Quadratmeter Platz zur Verfügung - inklusive 0,5 Quadratmeter Auslauf. [3] Doch auch diese Fläche ist für ein großes Schwein viel zu klein und bedeutet massive Tierquälerei.
Auch die anderen angeblichen Tierwohl -Kriterien sind nur geringfügige Verbesserungen, die am grundsätzlich tierquälerischen System der deutschen Schweinehaltung wenig ändern. Von Tierschutz oder gar Tierwohl kann somit kaum die Rede sein.
Das Problem: Tierwohl ist Auslegungssache
Eigentlich müsste jedem Verbraucher klar sein, dass ein Leben in solchen industriellen Anlagen für die Tiere alles andere als artgerecht ist. Was in deutschen Zuchtanlagen und Mastbetrieben wirklich passiert, lässt sich jedoch nur erahnen, denn Kontrollen finden viel zu selten statt. Immer wieder lösen verdeckte Aufnahmen, vor allem aus Schweinemastbetrieben, Skandale aus, sorgen für öffentliche Diskussionen und geben uns den Anreiz, unsere Ernährung nachhaltig zu ändern.
Kein einziges der Siegel auf dem Markt ändert etwas an den kargen und kotverdreckten Buchten, in denen die Schweine ihr Leben verbringen. Vielmehr werden immer neue Label eingeführt, die mit Tierwohl werben, aber die offensichtlichen Missstände in diesen Betrieben ausklammern. Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass sich kaum etwas verändert: Die Label werben mit scheinbar fortschrittlichen Tierschutzstandards, die in der Realität jedoch oftmals die gesetzlich vorgeschriebenen Bedingungen kaum überschreiten und nichts mit mehr Tierwohl zu tun haben. Zudem ist davon auszugehen, dass auch hier die Kontrollen versagen werden, wie dies in der landwirtschaftlichen Tierhaltung seit Jahrzehnten der Fall ist.
Die Bundesregierung, allen voran Landwirtschaftsministerin Klöckner, wird das staatliche Tierwohllabel, ähnlich wie das Bio-Label, nicht verpflichtend einführen. Zudem sind die Kriterien so unzureichend, dass beteiligte Tierschutzorganisationen im Entstehungsprozess teilweise aus Protest ausgetreten sind. All dies zeigt einmal mehr, dass die gesetzlichen Mindestanforderungen viel zu niedrig sind, viele Politiker stark von der Agrarlobby beeinflusst werden und wirtschaftliche Interessen weit vor dem Tierschutz stehen.
Auch weitere Siegel, wie etwa die »Initiative Tierwohl«, sollen dem Verbraucher das schlechte Gewissen beim Fleischkauf nehmen. Offenbar versucht die Fleischbranche mit der Vielzahl an Label auf die Veränderungen in unserer Gesellschaft zu reagieren, denn immer mehr Menschen lehnen es heute ab, Tiere für Fleisch, Milch und Eier auszubeuten und zu töten. Durch Siegel, Label, vermeintliche Verbesserungen und Werbeversprechen lassen sie sich jedoch eher zum weiteren Kauf dieser Produkte verleiten.
Selbst auf der Website des Landwirtschaftsministeriums wird eine Tierhaltung propagiert, die nicht der Wahrheit entspricht. Zu diesem Schluss ist eine Studie gekommen, die die Berichte des Ministeriums mit der Realität in den Ställen verglichen hat. [5]
Auch beim QS-Siegel gilt: Profit steht immer über Tierwohl
Die 2001 gegründete QS Qualität und Sicherheit GmbH (kurz QS) will mit ihrem gleichnamigen QS-Siegel dafür sorgen, dass die Verbraucher angesichts wiederholter Lebensmittelskandale wieder mehr Vertrauen zu deutschen Lebensmitteln und insbesondere zu Fleisch gewinnen. [6]
Doch was die meisten Verbraucher nicht wissen: Das viel umworbene QS-Siegel wird weder durch eine staatliche Stelle vergeben noch werden in entsprechenden Betrieben unabhängige Kontrollen durchgeführt. Vielmehr hat sich die Industrie selbst ein Siegel verliehen, das auf fast jeder Fleischpackung zu finden ist und eine falsche Sicherheit vorgaukelt.
Tierwohl-Versprechen haben mit der Realität nichts zu tun - denn diese Realität bedeutet in den meisten Fällen, dass Tiere ein leiderfülltes Dasein in kargen, überfüllten Ställen inmitten ihrer eigenen Exkremente fristen. Zahlreiche Veröffentlichungen von Tierschutzorganisationen zeigen Aufnahmen von Missständen, die in QS-Ställen dokumentiert wurden. Dazu gehören verletzte, tote und stark verwesende Tiere, Tiere, die in ihren Exkrementen leben müssen, sowie hohe Medikamentengaben.

Wenn ein weibliches Schwein nicht mehr schwanger
wird, zu wenige Ferkel auf die Welt bringt oder krank wird, wird es zum Schlachter transportiert - denn das System basiert allein auf Wirtschaftlichkeit. Nach etwa drei bis vier Jahren endet das entbehrungsreiche »Leben« schließlich am Schlachterhaken, und ein Lebewesen wird zu billiger Wurst oder Tierfutter verarbeitet. · Bild: PETA
Kein Tier will gewaltsam sterben - unabhängig von der Haltungsform
Tierwohl-Label sind in den meisten Fällen nur mit geringfügigen Verbesserungen für die Tiere verbunden. Für den Großteil von ihnen sind die angeblich verbesserten Bedingungen kaum wahrnehmbar. Die Siegel bieten somit keine merklichen Vorteile für die Tiere, noch machen sie ihre Lebensbedingungen für den Verbraucher transparenter.
PETA wertet »Tierwohl«-Label als Verbrauchertäuschung, denn kein Tier will wegen seines Fleisches oder zur Herstellung anderer tierischer Produkte vorzeitig getötet werden - ganz gleich, in welcher Haltungsform es leben musste.
Tierwohl-Label und -Siegel dienen eher dazu, das Gewissen der Verbraucher zu beruhigen, statt eine nachhaltige Entwicklung zu fördern. Sie verlangsamen den politischen Prozess hin zu wirklichen Veränderungen für die Tiere sogar, denn sie gaukeln scheinbare Verbesserungen vor und bewirken, dass sich Konsumenten und die Politik beruhigt zurücklehnen können.
Ganz gleich, ob QS-, Tierwohl-, Demeter-, Naturland-, Bio- oder andere Zertifizierungen und Siegel: Tierische Produkte wie Fleisch, Milch und Eier werden in einer Industrie hergestellt, die auf maximalen Profit ausgelegt ist und Tiere lediglich als Ware betrachtet und entsprechend behandelt.
Schweine sind intelligenter als Hunde und können mehr Kommandos lernen. Verhaltensforscher haben nachgewiesen, dass Schweine um ihre Identität wissen und auf ihren Namen hören. Wie Elefanten, Delfine und Primaten können sich Schweine selbst im Spiegel erkennen und haben offensichtlich eine Form von Selbstbewusstsein.
Und: Völlig entgegen dem Klischee gehören Schweine auch zu den reinlichsten Tieren. Sie verfügen zudem über einen außerordentlich guten Geruchssinn. Was tun wir diesen Tieren an, wenn wir sie ihr Leben lang auf engstem Raum, ohne jede Beschäftigung, ohne Tageslicht, in fürchterlichem Gestank auf Vollspaltenböden über ihren eigenen Fäkalien, einsperren? Wenn wir Schweinemüttern in engen vergitterten Kastenständen verwehren, sich zu bewegen, sich um ihre Kinder zu kümmern? Wenn wir ihnen die Kinder nach kurzer Zeit zur Mast wegnehmen? Wenn wir sie stundenlang auf qualvollen Tiertransportern zum Schlachthof karren? Wenn sie bei der Tötung anderer Schweine zusehen müssen und das Blut riechen?
Was Sie tun können
Schweine und andere Tiere sind sensible und intelligente Lebewesen. Helfen Sie den Tieren, indem Sie Fleisch von Ihrem Teller streichen - für jeden Bedarf und Geschmack gibt es mittlerweile pflanzliche Alternativen
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Informationen & Film ansehen: |
Quellen:
[1] Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Tierwohlkennzeichen.
www.bmel.de/DE/themen/tiere/tierschutz/tierwohl-kennzeichen/tierwohl-kennzeichen_node.html
[2] Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2020): Staatliches Tierwohlkennzeichen für Schweine.
https://www.bmel.de/DE/themen/tiere/tierschutz/tierwohl-kennzeichen/tierwohlkennzeichen.html
[3] SPIEGEL (2018): Klöckner will Tierwohllabel mit drei Stufen.
www.spiegel.de/politik/deutschland/julia-kloeckner-will-tierwohllabel-mit-drei-stufen-a-1206405.html
[4] Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Tierwohlkennzeichen Schwein.
www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/Flyer-Poster/Tierwohlkennzeichen_Schwein_Grafiken.pdf?__blob=publicationFile&v=5
[5] foodwatch (2021): Bundesregierung verharmlost Zustände in der Tierhaltung.
www.foodwatch.org/de/aktuelle-nachrichten/2021/bundesregierung-verharmlost-zustaende-in-der-tierhaltung/
[6] QS Qualität und Sicherheit GmbH: Über uns.
https://www.q-s.de/unternehmen/ueber-uns.html