Interview mit Dr. Karsten Brensing
Wir Menschen haben die Tiere bislang maßlos unterschätzt , ist der Verhaltensforscher Dr. Karsten Brensing überzeugt. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht eine Meldung über verblüffende tierische Fähigkeiten durch die Presse geht. Der Frage, was Tiere fühlen und denken, geht der Verhaltensforscher und Meeresbiologe in seinem neuen Buch Das Mysterium der Tiere auf den Grund. Die Botschaft: Wir leben auf diesem Planenten gemeinsam mit anderen ihrer selbst bewussten und fühlenden Wesen. Und: Wir müssen unser Weltbild den Tieren gegenüber verändern . Damit hat Dr. Karsten Brensing offenbar einen Nerv getroffen, denn sein neues Buch kletterte in kürzester Zeit in die Bestsellerlisten. Freiheit für Tiere sprach mit dem Autor.
Dr. Karsten Brensing, Jahrgang 1968, ist Meeresbiologe, Verhaltensforscher und Bestsellerautor. Er erforschte die Delfintherapie in Florida und Israel und musste aus seinen eigenen Daten erfahren, dass Delfine gar nicht gerne mit uns kuscheln und auch nicht gerne in unserer Obhut leben. So wurde er vom Delfinforscher zum Delfinschützer. Von 2005 bis 2015 arbeitete er als wissenschaftlicher Leiter des Deutschlandbüros der internationalen Wal- und Delfinschutzorganisation WDC. Seit 2015 arbeitet Dr. Karsten Brensing selbstständig und hat mehr Zeit zum Schreiben. Er initierte die wissenschaftliche Initiative IRI (Individual Rights Initiative), welche die gesellschaftliche und juristische Grundlage, auf der unser Umgang mit Tieren beruht, grundsätzlich verändern will. |
Freiheit für Tiere: Mit Ihrem neuen Buch zeigen Sie, wie falsch bisherige Vorstellungen vom Leben, Denken und Handeln von Tieren sind. Tiere empfinden wie wir Schmerz, Angst, Trauer und Freude, verfügen über ein komplexes Sozialverhalten, lernen voneinander, kommunizieren untereinander und mit uns Menschen, sind zum Teil zu kulturellen Leistungen fähig, zeigen sogar Selbstbewusstsein und Merkmale von Persönlichkeit. Wir Menschen haben die Tiere bislang also maßlos unterschätzt?
Dr. Karsten Brensing: Ich denke schon. Wenn wir Menschen Gefühle, kluges Handeln oder gar Persönlichkeiten in unseren Haustieren entdeckt haben, dann haben wir nicht vermenschlicht. Es ist tatsächlich so und wir müssen kein schlechtes Gewissen mehr haben. Dennoch müssen wir mit dem Vermenschlichen aufpassen. Jede Tierart hat ihre Eigenarten. Aber wenn die Ergebnisse der Vergleichenden Verhaltensbiologie vergleichbare Ergebnisse liefern, dann dürfen wir durchaus eine Analogie ziehen. Für mich sieht die Welt nun viel reicher aus.
basiert auf einem veralteten Weltbild"
Freiheit für Tiere: Welche Folgerungen ergeben sich aus den neuesten Forschungsergebnissen?
Dr. Karsten Brensing: Diese Frage ist praktisch nicht zu beantworten, denn menschliches Handeln hängt nicht von objektiven Sachlagen ab, sondern ist vielmehr ein Prozess, den wir als Gesellschaft dynamisch gestalten. Was ich mir wünsche, ist aber eine neue Diskussion auf einer aktualisierten Wissensgrundlage. Heutige Gesetze und unser Umgang mit Tieren basiert auf einem veralteten behavioristischen Weltbild bei dem - überspitzt gesagt - Tiere nicht viel mehr als eine Art Bioroboter sind. Das muss sich ändern.
Was mir aber Sorgen macht, ist, dass ich allen deutschen Hochschulen eine interdisziplinäre Lehrveranstaltung zu dem Thema angeboten habe und dass ich vor allem von den Pädagogischen Hochschulen Absagen mit der Begründung erhalten habe, dass dieses Wissen nicht Teil des Lehrplans ist. Es ist somit praktisch unmöglich, dieses Wissen in den Bildungskreislauf zu bekommen.
verhindert, muss geändert werden"
Freiheit für Tiere: Um den Tieren zu den ihnen zustehenden Rechten zu verhelfen, haben Sie die Individual Rights Initiative IRI ins Leben gerufen. Was sind die wichtigsten Ziele?
Dr. Karsten Brensing: Die Gruppe ist ursprünglich als juristischer Thinktank entstanden und hat sich dann zu einer interdisziplinären Arbeitsgruppe entwickelt. Ziel ist es, das Übel an der Wurzel zu packen und die juristische Grundlage, die einen verfassungsgemäßen Tier- und Naturschutz verhindert, zu ändern. Um dies zu erreichen, fordern wie eine dritte Person in unserem Rechtssystem. Es soll somit neben der natürlichen und der juristischen Person eine tierliche Person eingeführt werden. Diese kann dann von einem Anwalt vertreten werden, ohne dass weitere Bedingungen erfüllt sein müssen. Dies ist auch gar nicht so unüblich, denn die Interessen indigener Völker, die sich nicht selbst vertreten können, oder von geistig behinderten Menschen werden auch von einem Vertreter wahrgenommen. In der Praxis hoffe ich, dass durch Klagen auf dieser Grundlage der Umgang mit Tieren in unserer Gesellschaft neu diskutiert wird und dass dabei nicht das Leiden, sondern das Wohlergehen der Tiere im Vordergrund steht.
"Bisher ist unsere Arbeit ehrenamtlich"
Freiheit für Tiere: Es muss sich also einiges in Gesellschaft und bei den rechtlichen Grundlagen ändern. Was sind die nächsten Schritte?
Dr. Karsten Brensing: Die IRI-Gruppe ist zwar hochqualifiziert, aber ein rein freiwilliger Zusammenschluss und jeder wirkt dort ehrenamtlich. Unter diesen Bedingungen ist es nicht möglich, tatsächliche politische Arbeit zu betreiben oder eine Klage zu führen, um die Mängel an der derzeitigen Rechtspraxis offenkundig zu machen.
IRI sammelt daher derzeit Willenserklärungen. Finden sich 1000 Menschen, die IRI mit 10 € im Monat unterstützen, werden wir uns offiziell gründen, die Gemeinnützigkeit beantragen und um diese regelmäßige Spende bitten. Erst dann können wir wirklich loslegen und diesen, auch für unsere menschliche Moral, wichtigen Schritt initiieren.
ändern, aber man kann sich kleine Ziele setzen"
Freiheit für Tiere: Was kann der Einzelne dazu beitragen, damit sich die Situation für die Tiere verbessert?
Dr. Karsten Brensing: Der - soweit ich weiß - erste und einzige Tieranwalt, der Schweizer Rechtsanwalt Antoine Goetschel (www.afgoetschel.com) hat mir mal gesagt: Besser ist besser! Die meisten Menschen wissen eigentlich, was richtig ist, aber es ist so schwer, sich von lieb gewonnenen oder schmackhaften Gewohnheiten zu verabschieden. Ich trinke zum Beispiel meinen Kaffee und esse mein morgendliches Müsli gerne mit Milch. Es war für mich ein echter Prozess, darauf zu verzichten. Heute ist in meinem Kaffee Kokosöl (man nennt das übrigens Bulletproof Coffee, ein echtes Lifestyle Produkt) und eine Banane mit ein bisschen Wasser ist ein leckerer Milchersatz im Müsli.
Man kann weder sich noch die Welt über Nacht ändern, aber man kann sich kleine Ziele setzen, auch wenn es weh tut. Wenn jeder an seine eigene Schmerzgrenze geht, ist viel gewonnen. Wenn jemand, der jeden Tag Fleisch isst, nur noch alle zwei Tage Fleisch braucht, dann ist das besser. Wenn jemand nur noch Bio-Fleisch und Bio-Milchproduckte kauft, dann ist das besser. Wenn jemand vom Vegetarier zum Veganer wird, dann ist das besser. Wenn wir dies mit
gegenseitigem Respekt untereinander anerkennen, dann ist das ebenfalls besser, als wenn wir jeden Fleischesser als Tierquäler betrachten.
hineinzudenken, im Umgang mit Tieren"
Grundsätzlich hilft der im Artikel schon erwähnte Spruch aus meiner Kinderzeit. Wir Menschen haben die kognitiv sehr hochentwickelte Fähigkeit, uns in andere hineinzudenken
und zu fühlen. Nutzen wir sie und fragen uns einfach, ob wir gerne ein Delfin im Betonbecken, ein Löwe im Zirkus, ein Schwein in der Massentierhaltung oder ein Hund im Zwinger wären.
Das Interview mit Dr. Karsten Brensing führte Julia Brunke, Redaktion Freiheit für Tiere