Interview mit Dr. Katharina Wirnitzer
Dr. Katharina Wirnitzer, Jahrgang 1974,
ist Sportwissenschaftlerin und Hochschuldozentin für Sportwissenschaften an der Universität Innsbruck und der pädagogischen Hochschule Tirol.Im Rahmen ihres Forschungsprojekts bikeeXtreme untersuchte sie die Ausdauerleistungsfähigkeit und das Belastungsprofil von Mountainbikern während eines 8tägigen Etappen-Rennens, der Mountainbike Transalp Challenge.
»Sport und die Tiere sind mein Leben«
Das Gespräch mit Katharina Wirnitzer führte Julia Brunke, Redaktion FREIHEIT FÜR TIERE
FREIHEIT FÜR TIERE: Du forscht seit vielen Jahren zum Thema »Vegan & Sport«. Mit deiner Studie »bikeeXtreme« hast du bereits 2004 begonnen und in den folgenden Jahren die weltweit erste wissenschaftliche Studie über vegane Ernährung im Sport vorgelegt - lange bevor »vegan« hip und angesagt war. Frage 1: Wie bist du zur veganen Ernährung gekommen? Und Frage 2: Wie bist du zum Sport gekommen?
Dr. Katharina Wirnitzer: Ich komme aus einer Familie von Bauern, Viehzüchtern, Viehhändlern, Metzgern, Jägern - und man hatte mir immer gesagt: »Tiere sind dazu da, um getötet und gegessen zu werden«. Irgendwann mit 16 Jahren begann ich das zu hinterfragen. Als ersten Schritt habe ich Fleisch weggelassen. Ich dachte, mit Milch, Käse und Eiern würde ich den Tieren nicht wehtun. In den folgenden Jahren merkte ich, dass vegetarisch nicht reicht und habe mit 25 Jahren entschieden, vegan zu leben. Die Entscheidung war aus ethischen Gründen, weil ich nicht wollte, dass für meine Ernährung, für mein Makeup, für meine Kleidung, für mein Lebensglück ein Tier leiden muss.
Da in meiner Familie viele Sportler, vor allem Alpinisten und Bergsteiger sind, war auch Sport für mich immer ein Thema. Mein Onkel Franz Oppurg war - neben zahlreichen alpinen Erstbegehungen - 1978 der erste Mensch, der den höchsten Berg der Welt im Alleingang bewältigt hat. Das war natürlich nicht nur für die Familie ein großes Ding, er erhielt er auch einen Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde.
Ich wusste also von klein auf, dass ich Sport in meinem Leben machen möchte und es war klar, dass ich Sport studiere. Heute ist Sport nicht nur mein Leben, sondern zusätzlich mein Beruf.
FREIHEIT FÜR TIERE: In welcher Sportart bist du zu Hause?
Dr. Katharina Wirnitzer: Der Bergsport ist geblieben: Alles was steil und einsam ist, auf diesen Berggipfeln und Berggraden findet man mich: Wandern, Berglaufen, Mountainbiken, im Winter Schneeschuhwandern, Skitouren gehen. Viele Jahre war ich auch aktiv beim Gleitschirmfliegen. Ich habe natürlich auch dementsprechend Ausbildungen im Bergsportbereich, im Bereich Mountainbike und Gleitschirmfliegen und als Bergwanderführerin, um anderen Menschen meine Leidenschaft mit auf den Weg zu geben. Und als Dozentin für Sport gebe ich meine Leidenschaft und mein Wissen zukünftigen Lehrerinnen und Lehrern mit.
FREIHEIT FÜR TIERE: Nun hast du zu einer Zeit, als vegan noch nicht in war, als die meisten Leute nicht einmal wussten, was vegan überhaupt ist, als es überhaupt noch nicht im Gespräch war, dass sich Sportler überhaupt rein pflanzlich ernähren könnten, eine Studie sozusagen am eigenen Leib durchgeführt: mit der Alpenüberquerung auf dem Mountainbike, der Transalp Challenge. Das war ja weltweit die erste Studie überhaupt zum Thema Vegan und Sport. Wie kam es dazu?
Dr. Katharina Wirnitzer: Während meines Sportstudiums bin ich Mountainbike-Rennen gefahren, und da ich der Ausdauer-Typ bin, war klar: Es muss die Transalp Challenge sein. Das ist ein Team-Wettbewerb, den ich 2003 mit meinem Mann gefahren bin.
FREIHEIT FÜR TIERE: Und ihr wart damals beide bereits vegan?
Dr. Katharina Wirnitzer: Ja, wir waren beide bereits vegan. Da habe ich mir gedacht, ich muss in der Universität in die Bibliothek und schauen: Was gibt es zu Sport und veganer Ernährung? Und da gab s nichts! Ich war komplett überrascht: Es kann doch nicht sein, dass jemand wie ich als erster drauf kommt! Es gab einige Ernährungswissenschaftler, die bereits in den 1980er Jahren über vegane Ernährung geforscht haben. 1982 gab es die erste Empfehlung eines US-amerikanischen Ernährungswissenschaftlers, dass wahrscheinlich die vegetarische und auch die rein pflanzliche Ernährung eine optimale Ernährungsstrategie ist für Leistungssportler, aber insbesondere für Ausdauersportler: Radsport, Laufsport und Triatlon. Das wurde explizit in den 1980er Jahren bereits gesagt. Nun war Mountainbikesport meine Leidenschaft und ich dachte mir: Da muss irgendjemand etwas tun! Und so entstand die Idee, mit der zweiten Transalp Challenge, die Gerold und ich 2004 bestritten haben, eine Studie aufzusetzen. Beim Wettbewerb 2004 wurden die Daten gesammelt und im Laufe der nächsten Jahre - als meine Dissertationsstudie - ausgewertet und von 2006 bis 2014 publiziert, darunter 2009 das Buch »bikeeXtreme. Performance determining factors and vegan nutrition pattern to successfully complete the Transalp Challenge«.
2014 kam dann die wichtige Publikation »Energy and macronutrient intakte of a female vegan cyclist during an 8-day mountain bike stage race«. Damit konnte ich 32 Jahre nach der ersten Empfehlung aus dem Jahr 1982, dass eben pflanzliche Ernährung vermutlich die optimale Strategie für Ausdauersportler wäre, belegen, dass das so ist.
FREIHEIT FÜR TIERE: Als nächstes kam deine große Laufstudie, die NURMI Study.
Dr. Katharina Wirnitzer: Die Mountainbike-Studie wurde ja noch vor dem großen Vegan-Boom durchgeführt. Meine Idee war nun: Man muss das größer machen, mit einer großen Zahl von Studienteilnehmern. Welche Sportart ist also geeignet, um eine große Zahl von Athleten zu untersuchen? Alle Welt läuft, also folgte der Schritt vom Mountainbiken zum Laufsport. Und so ist dann die NURMI Study entstanden, eine interdisziplinäre Studie, bei der auch Prof. Dr. Claus Leitzmann im Bereich Ernährungswissenschaften beratend dabei war. Ziel war, auf einer breiten Basis mit einer großen Stichprobenzahl noch fundiertere Aussagen treffen zu können.
2018 wurde eine ganz wichtige Publikation zum Gesundheits status verschiedener Ernährungsformen veröffentlicht. Wir haben den Gesundheitsstatus von Allesesser-Läufer im Vergleich zu vegetarischen und im Vergleich zu veganen Läufern untersucht. Und es kam ganz klar heraus, dass insgesamt die Entscheidung für eine vegane Ernährungsform die stärksten positiven Beiträge für den Gesundheitsstatus von Läufern leistet.
Der nächste Schritt war wieder zu überlegen: Wie können wir noch mehr Menschen erreichen? Da ich inzwischen an der Universität und an der Pädagogischen Hochschule Tirol arbeite, kam der Gedanke für die Schulstudie. Jeder Mensch durchläuft die Schule, wir haben einen staatlichen Bildungsauftrag, wir haben Lehrpläne, in denen die Gesundheit ganz klar dem Schulsport - also genau meinem Fachbereich - zugeordnet ist.
Nach der Mountainbike-Studie und dem Follow-Up mit der Laufstudie gehen wir jetzt in die Schule, um zu untersuchen: Wie sieht das Gesundheitsverhalten von Kindern und Jugendlichen in der Sekundarstufe I und II aus, also zwischen 10 und 19 Jahren? Und die zwei wesentlichen Lebensstilfaktoren, von denen wir aus der Wissenschaft wissen, dass sie als Medizin gelten, sind einmal die Ernährung und zum anderen Bewegung.
Mit der Schulstudie haben wir wiederum eine breitere Stichprobe. Und das große Potential bei der Schulstudie liegt natürlich darin, dass Kinder positives oder negatives Gesundheitsverhalten mit ins Erwachsenenalter nehmen. Das heißt, wenn wir es jetzt schaffen würden, zu verstehen, wo die Dinge ungünstig laufen, könnte man hier positiv einwirken, könnte aufgrund einer evidenzbasierten Datenlage den Kindern Wissen vermitteln und es kompetenzbasiert mit ihnen umsetzen, zum Beispiel, wie man gesunde Lebensmittel zubereitet. Und damit hätten wir das Potential, allein durch den Bildungsauftrag die Volksgesundheit positiv zu beeinflussen.
Freiheit für Tiere: Dein Schwerpunkt ist ja der Ausdauersport, sowohl für dich persönlich als Sportlerin als auch in deiner Forschung. Warum ist die rein pflanzliche Ernährung für Sportler und besonders für Ausdauersportler so vorteilhaft?
Dr. Katharina Wirnitzer: Ich möchte das mit einem Vergleich erklären: Ein Serienauto ist meistens eine Entwicklung aus dem Ralleysport oder aus der Formel I. Also: Ein Hochleistungsmotor wird sozusagen getestet auf Herz und Nieren, und dann wird das Serienauto entwickelt. Und wenn wir dieses Bild auf den Menschen übertragen, dann sind Profi-Sportler, wie Lewis Hamilton oder andere ganz wichtige Sportler, die Prototypen. Und der Durchschnittmensch im Alltag, der ins Büro oder in die Schule geht, der joggen geht oder Fahrrad fährt - das ist sozusagen der Serienwagen.
Und woher kommen auch die besten Treibstoffe? Die Treibstoffe werden natürlich auch im Motorsport getestet. Und jetzt ist die Frage: Was ist der beste Treibstoff? - Keiner würde, wenn er ein teures Auto hat, einen Ferrari oder einen Lamborghini, Diesel tanken oder ein minderwertiges Benzin oder ganz billiges Öl reintun. Ich möchte ja, dass mein Motor rund läuft. Und wenn wir das jetzt übertragen auf die Ernährung, also den Treibstoff für unseren Körper, dann stellen wir fest: Wir als Menschen führen uns eigentlich nicht den besten Sprit zu! Und das äußert sich dann 30 oder 40 Jahre später in Form von Herzinfarkt oder Diabetes oder Krebserkrankungen. Und woher kommt das? Wir versorgen unser Leben lang unseren Motor mit schlechtem Öl und schlechtem Benzin und wundern uns dann, wenn der Motor irgendwann den Geist aufgibt. Der Motor dreht eigentlich permanent im roten Umdrehungsbereich. Das bedeutet, dass der ganze Körper eigentlich ständig an seinen Grenzen arbeitet.
Und nun kommen wir zum Sport: Wenn ich schon im Alltag ständig im oberen roten Bereich belastet bin, und gehe noch die Abendrunde joggen, dann kommt zum Beispiel noch die Laktatproduktion dazu oder dass das Herz mehr Sauerstoff in die Gefäße pumpen muss. Und da kommt der Körper an die Grenzen, weil ich bereits im roten Bereich starte: Das Herz muss jetzt viel stärker pumpen, die Arterien sind aber durch schlechte Ernährung verengt. Dann brauche ich guten Treibstoff, den ich dem Körper aber nicht zur Verfügung stelle. Wenn ich nach dem Sport regenerieren will, ist der Körper übersäuert durch Stoffwechselprodukte, die der Körper, wenn er im perfekten Bereich arbeiten würde, gut kompensieren kann. Über eine ganze Lebensspanne bedeutet dies, dass ich eigentlich nie mein volles sportliches Potential ausschöpfen kann. Und dann kommt noch dazu, dass immer Entzündungsprozesse im Körper schwelen, weil die schlechte Ernährung übersäuert und zusätzlich der Sport. Das bedeutet: Ich bin öfter krank, ich bin verletzungsanfälliger.
Der Vorteil der veganen Ernährung ist: Ich drehe eben nicht permanent im oberen roten Bereich, ich bin beim Sport nicht übermäßig belastet, ich kann optimal regenerieren. Ich habe durch den hohen Konsum von pflanzlichen Proteinen und Mineralstoffen aus Hülsenfrüchten, Nüssen und Samen, komplexen Kohlenhydraten aus Vollkorngetreide und Kartoffeln sowie Antioxidantien aus Obst und Gemüse eine optimale Nährstoffversorgung. Und das kann, wenn Laktat produziert wird, wunderbar helfen, Muskelkater oder steife Muskulatur, die ich nach einer Bergtour, einem Radrennen oder einer Laufrunde habe, abzubauen und dadurch ist der Körper schnell wieder entspannt. Er kann also diese Belastung gut kompensieren.
Im Sport ist allgemein bekannt: Je niedriger die Ruhe-Herzfrequenz, umso besser trainiert ist der Körper, umso höher ist das Fitness-Level und umso optimaler sind die Voraussetzungen für das sportliche Training. Aus der Medizin weiß man außerdem: Je niedriger die Ruhe-Herzfrequenz ist, desto länger ist das Leben mit einer guten Qualität. Auch hier hat die pflanzliche Ernährung Vorteile, wie eine Untersuchung zeigt: Wenn man über längere Zeit eine Tasse Hülsenfrüchte am Tag konsumiert - als Hauptspeise, über Salat, als Brotaufstrich -, würde auch ohne Sport die Ruhe-Herzfrequenz automatisch sinken: nach drei Monaten etwa um 3 Schläge pro Minute und nach einem Jahr etwa um 10 Schläge pro Minute. Und exakt diese 10 Schläge pro Minute sind der Bereich, die ein Sportler durch effizientes Training versucht zu erreichen (Ruhe-Herzfrequenz unter 60 Schläge/Minute), um seine Leistung zu verbessern.
Wir wissen alle: Sport ist anstrengend! Und die gute Nachricht ist: Allein mit Ernährung - einer Tasse Hülsenfrüchte - könnte ich auf der Couch liegen und den gleichen Effekt erzielen für mein Herz, für meine Fitness, wie ein Allesesser, der Sport treibt. Und jetzt haben wir die vielversprechendste Lösung für Gesundheit und Sport: wenn wir pflanzliche Ernährung mit Hülsenfrüchten und Sport kombinieren. Und das ist für den Sportler so wichtig, wenn der gesamte Körper - statt im roten Bereich zu drehen - zurückregelt in den optimalen Bereich. So habe ich vom Start weg für jede Joggingrunde, für jeden sportlichen Wettkampf die besten Voraussetzungen, wenn ich im Wettkampf dann wirklich in den roten Bereich komme, schnell wieder zu regenerieren.
Freiheit für Tiere: Das bedeutet, dass ein Sportler, der sich pflanzlich ernährt, eine längere Karriere hat und auch dann, wenn er seine Karriere beendet, seinen Körper nicht komplett heruntergewirtschaftet hat.
Dr. Katharina Wirnitzer: Genau. Es zeigt sich bei vegan lebenden Sportlern, dass sie auch im höheren Alter noch sehr, sehr leistungsfähig sind. Herausragende vegane Athleten können ihre Rekorde und Erfolge über viele Jahre aufrechterhalten. Und das liegt natürlich am viel besseren Gesundheitszustand und der schnellen Regeneration nach dem Wettkampf.
Freiheit für Tiere: Jetzt wäre also eine Studie wichtig mit einer größeren Anzahl von Sportlern aus dem Hochleistungsbereich. Viele vegane Sportler berichten: Ich regeneriere schneller, ich schlafe besser, ich habe weniger Verletzungen. Das sind Erfahrungsberichte, aber es ist noch nicht wissenschaftlich belegt.
Dr. Katharina Wirnitzer: Das sind Erfahrungsberichte, die natürlich sehr ernst zu nehmen sind. Dennoch braucht es auch Wissenschaftsstudien. Und das wäre jetzt der nächste Schritt: Profi-Sportler, Profi-Mannschaften längerfristig zu begleiten und Studien durchzuführen, die zum Beispiel zeigen, dass die Immunabwehr deutlich stärker ist. Alle Hinweise aus der Medizin weisen in diese Richtung, aber man müsste jetzt bei Profi-Sportlern solche Dinge wirklich untersuchen. Ich habe mit meinem Team aus Sportwissenschaftlern, Ernährungswissenschaftlern und Medizinern bereits einige Studien entwickelt, um mit Profi-Sportlern oder einem Profi-Sportteam den sportpraktischen Bereich, aber auch den Bereich der klinischen Studien, abbilden zu können, wo es dann zum Beispiel um Blutproben, Immunparameter oder Biomarker geht, die man unbedingt untersuchen muss, um genaue Aussagen treffen zu können. Falls es da interessierte Profi-Sportler oder Teamchefs gibt, freue ich mich über jede Kontaktaufnahme! Konzepte und Studiendesigns liegen schon in der Schublade.
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