Peter Berthold: HILFESCHREI der NATUR! Was wir noch tun können - Die letzte Chance für unsere geschundene Erde.
»Unsere Natur schreit nach Zukunft: herzzerreißend. Sie wird sie bekommen, sogar rosig. Denn sie ist dabei, endlich ihre „Mörderbande“ abzuschütteln: uns.« In seinem aufrüttelnden Bildband »Hilfeschrei der Natur« erklärt der renommierte Ornithologe, Ökologe und Naturschützer Prof. Peter Berthold, wie alles mit allem zusammenhängt - und was jede und jeder Einzelne zum Schutz der Artenvielfalt beitragen kann.
Farbenprächtige Schönheit des geheimen Lebens in Weihern, Auwäldern, Streuobstwiesen, Feldhecken und naturnahen Gärten:
Wo man mehr Wildnis wagt, entsteht schnell ein Artenreichtum aus Pflanzen und Tausenden von Lebewesen wie Schmetterlingen, Libellen, Wildbienen, Lurchen, Fröschen, Fischen und Vögeln. Schachbrettblume mit Hummel. Sie verschwand durch Trockenlegung von Feuchtgebieten und kommt nur noch im unterfränkischen Sinntal und an der Elbe rund um Hamburg in größerer Zahl vor. Am »Heinz-Sielmann-Weiher« am Bodensee konnte sie wieder angesiedelt werden. Durch Renaturierung entstehen »Oasen aus Menschenhand«. · Bild: Solvin Zankl · aus: »Hilfeschrei der Natur!« von Peter Berthold. Frederking & Thaler
»Mutter Natur ist nicht mehr nur angekratzt, sie ist schwer angeschlagen«, so Prof. Berthold. Inzwischen liege unsere Natur, um im Bild zu bleiben, längst auf der Intensivstation, im Koma. Sie leide an einer Vielzahl von »Krankheiten«: Luftverschmutzung, Trinkwasserverseuchung, Waldsterben, Meeresspiegelanstieg, Überfischung, Umkippen von Gewässern, Sinken des Grundwasserspiegels, Versiegen von Quellen, Versteppung, Zersiedlung, Verkehr, Artensterben, Klimakatastrophen, Wüstenbildung, Flüchtlingsströmen, Hunger in der Welt ... Jeder Begriff für sich alleine ist an sich schon dramatisch genug. In ihrer Gesamtheit bedrohen sie unsere Zukunft auf diesem Planeten. Und doch machen wir immer so weiter.
»Alles, was bisher zur Gesundung und Stabilisierung einer für uns unbedingt erforderlichen Umwelt unternommen wurde, ist absolut unzureichend«, erklärt der renommierte Ökologe und Naturschützer. »Besserung ist nicht in Sicht, und so hat - wenig überraschend - der Weltklimarat in seinem Bericht 2022 mitgeteilt, dass inzwischen etwa die Hälfte der derzeit lebenden Menschheit durch den Klimawandel existenziell bedroht ist.«
Prof. Berthold ist überzeugt, dass es auch anders ginge: »Durch umgehend eingeleitete Maßnahmen wie generell ökologisch ausgerichtete Landwirtschaft, Beendigung des Flächenverbrauchs (Umbau statt Neubau), Umstellung vom Prinzip Wachstum auf Nachhaltigkeit und vieles mehr ließen sich Umweltzerstörungen, Artensterben usw. rasch beenden, und Deutschland könnte in wenigen Jahrzehnten wieder ein „blühendes Land“ sein - voller wild lebender Tiere und Pflanzen - und vor allem ein Land mit echten Perspektiven für die nachfolgenden Generationen.« Natürlich stünden einem solchen Ansinnen sofort die EU, die Globalisierung, die Weltwirtschaft entgegen, so Prof. Berthold, »aber sei’s drum.«
Mit einer durchgreifenden Reökologisierung könnten wieder eine Art »Insel der Glückseligen« geschaffen werden, ist der international bekannte Naturschützer überzeugt. Das Problem sei aber, dass bisher nur wenige Prozent der Bevölkerung begriffen hätten oder wahrhaben wollten, dass wir in Deutschland und weltweit längst keine Umwelt»krise« mehr haben - sondern dass unser Überleben bedroht ist.
»Sicher ist die derzeitige weltweite Schädigung aller unserer Umweltbereiche von enormen Flächen der Böden über Gewässer und der Atmosphäre bis zur Destruktion der gesamten Biosphäre mit all ihren Pflanzen und Tieren die größte, die unsere Erde je erfahren hat«, so Prof. Berthold. »Damit stellt sie eine globale Bedrohung nie zuvor gekannten Ausmaßes für die gesamte Menschheit dar. Dieses Apokalypse-Szenario könnte uns in der Tat den Mut nehmen.«
Große Heidelibellen im Paarungsrad.
»In Zukunft werden wir bei der rasant fortschreitenden Wasserverknappung in Hitze- und Trockenperioden eine Vielzahl an Wasserspeichern benötigen«, so Prof. Berthold. »Dabei wird die Anlage von Weihern mit Doppelfunktion als Wasserlieferant und Lebensraum für Pflanzen und Tiere an Bedeutung gewinnen.« · Bild: Solvin Zankl · aus: »Hilfeschrei der Natur!« von Peter Berthold. Frederking & Thaler
Paradiesische Inseln schaffen
Doch Resignieren und Verzweifeln sei nicht die Lösung. Auch wenn wir nicht »die Welt retten« könnten: »Wir könnten schnell und leicht in Hülle und Fülle Archen Noahs bauen, in denen sich in „Oasen aus Menschenhand“ unermessliche Schätze unserer Biosphäre bewahren lassen - bis sich die ökologischen Verhältnisse auf der Erde wieder grundlegend verbessert haben werden.«
Und das werde ganz sicher geschehen: »Entweder durch tatsächlich noch zu Einsichten gekommene Neuzeitmenschen, die ersten echten Homo sapiens-Vertreter sozusagen, oder - eher wahrscheinlich - durch mittlere bis größere Katastrophen, die uns zurückdrängen und Mutter Natur letztlich wieder auf die Beine helfen werden.«
Ein deutschlandweiter Biotopverbund wäre die beste Maßnahme gegen den rasanten Rückgang der Artenvielfalt. Darum hat Prof. Berthold das Konzept »Jeder Gemeinde ihr Biotop« gemeinsam mit der Heinz Sielmann Stiftung ins Leben gerufen. Ziel ist Verbund von Biotopen auf 10 bis 15 Prozent der bundesdeutschen Fläche in allen Gemeinden. Prototyp ist der Biotopverbund Bodensee der Heinz Sielmann Stiftung, der 2004 gestartet wurde. Inzwischen wurden im nördlichen Bodenseeraum über 150 Biotope an mehr als 50 Standorten neu geschaffen oder bestehende aufgewertet. Eine Vielzahl neu angelegter Weiher, Tümpel, Feuchtgebiete sowie Streuobstwiesen und Trockenrasen zeigt eine geradezu verblüffende Wiederbelebung der Artenvielfalt wildlebender Pflanzen und Tiere. Nach dem Vorbild des Biotopverbunds Bodensee entstanden in den letzten Jahren weitere Biotop-Verbünde in Zusammenarbeit mit der Heinz Sielmann Stiftung: der Biotopverbund Ravensburg, das Waldbiotop Schwäbische Alp, der Biotopverbund Nordost-Bayern, ein etwa 16 Hektar großes Feuchtbiotop an der Leine bei Göttingen und viele andere mehr. Die Kosten für die Biotop-Verbünde werden durch Unterstützung durch die Bundesländer sowie Städte und Gemeinden, durch Umweltverbände und Stiftungen, durch private Spender und sogar Firmen getragen.
Die Vision: Viele Archen Noahs schaffen
In der Nähe von Würzburg wurde eine ausgeräumte Agrarlandschaft durch die Gabriele-Stiftung in ein Land des Friedens umgewandelt: mit ökologischem und friedfertigem Landbau, Rückkehr zur Dreifelderwirtschaft mit Bracheflächen und Blühstreifen, einem großen Hecken-Netzwerk, Pflanzung von Bauminseln, Renaturierung von Wäldern, Anlage von Teichen und Tümpeln, Anbringung unzähliger Nisthilfen und Futterhäuser für Vögel und Eichhörnchen: »So entstand ein landschaftliches Juwel mit Artenreichtum an Pflanzen und Tieren wie in den 1950er-Jahren - ein Paradies!«, freut sich Prof. Berthold.
»Wenn wir - von Kindern und Enkeln gar nicht zu reden - die nächsten Jahrzehnte überleben wollen, gibt es nur einen Weg: zurück zur Artenvielfalt in der Natur und zum Sortenreichtum in der Landbewirtschaftung«, schreibt der engagierte Ökologe und Naturschützer. Denn nur ein großer Artenpool sichere das Überleben der Pflanzengemeinschaft. Und damit das unsere. Doch leider sei - von einigen Ansätzen abgesehen - kein Umdenken oder gar Handeln in Sicht.
Wahrscheinlich werde es Katastrophen bedürfen, um eine Umkehr zu erzwingen, so Prof. Berthold. Doch eines können und sollten wir ab sofort alle tun: »Archen Noahs« und »Oasen aus Menschenhand« einrichten zur Rettung von so viel wie möglich an Restnatur. »Aus diesen Refugien könnte sich dann nach der „Sintflut“ der Lebensraum wieder artenreich neu beleben und auf lange Sicht stabilisieren.
Was jeder von uns tun kann
Jeder Einzelne kann sich für die Artenvielfalt einsetzen und »Oasen aus Menschenhand« schaffen: durch die Gestaltung des eigenen Gartens als Tierparadies, durch ganzjährige Futterstellen und Nistkästen für Vögel sowie Fledermauskästen und Insektenhotels, durch die Anlage von Hecken, Streuobstwiesen und Teichen, durch Projekte in der Gemeinde, durch tatkräftige Mithilfe in Biotopen in der Region und natürlich durch finanzielle Unterstützung von Projekten für Natur und Tiere. Sein Buch gibt viele wertvolle Anregungen und Anleitungen dazu.
»Auf Inseln von Glückseligen, an denen ja heute schon etliche basteln, können durchaus auch Enkel von uns ein rettendes Ufer finden - und dafür sollten wir weiter an unseren Archen Noahs arbeiten«, so Prof. Berthold. Diese Inseln der Artenvielfalt können in Zukunft die Grundlage für künftiges Leben bilden - nach den menschengemachten Katastrophen. »Tröstlich mag sein, dass die Menschheit wohl nicht gänzlich von der Erde verschwinden wird.«
Am Ende seines Buches beschreibt Prof. Peter Berthold in einem Gedankenspiel seine Vision einer besseren Zukunft: »Wäre ich Kaiser von Deutschland, selbstredend ausgestattet mit starker Exekutive, verspräche ich meinem Volk: in wenigen Jahrzehnten wieder in einem blühenden Land zu leben - grün, bunt, voller Blüten, Früchte, mit überall auflebender Artenvielfalt und vor allem mit einer Nachhaltigkeit, die nicht nur Enkeln, sondern auch Urenkeln eine Zukunft sichern würde, in guter menschlicher Gemeinschaft«. Jeder würde einen Paradiesgarten einrichten und sich wie früher im Wesentlichen von seiner eigenen Scholle ernähren.
Etwas sehr Wichtiges verkennt Prof. Berthold bei seiner Vision allerdings: Im Paradiesgarten werden ganz sicher Beete angelegt, Obst, Gemüse und Kartoffeln geerntet. Aber werden dort Tiere gehalten, die »Milch, Käse, Wolle für Strickwaren, Häute für Schuhe, Taschen und köstliches Fleisch liefern«, wie er es dann auch beschreibt (S. 188)? Denn das Schlachten und Essen von Tieren lässt sich nicht mit einem »Paradiesgarten« oder der Vision von einer Arche Noah vereinbaren - auch dann nicht, wenn die Tiere »artgerecht« auf dem eigenen Stück Land gehalten werden.
Der »Hilfeschrei der Natur« ist nicht nur von Wildblumen, Bäumen, Schmetterlingen, Wildbienen, Vögeln und Fröschen zu hören, sondern auch von Millionen Rindern, Schweinen, Schafen, Hühnern, Gänsen, die leiden und sterben müssen, weil wir Menschen Fleisch, Milchprodukte und Eier essen und ihre Häute tragen. Es ist die naturzerstörerische, lebensfeindliche Einstellung, die Ausbeutung von Menschen und Tieren, welche die Welt an den Abgrund gebracht hat, an dem sie heute steht. Es braucht einen Friedensschluss mit der Natur, mit den Tieren und unter den Menschen.
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Peter Berthold: Jeder Gemeinde ihr Biotop
Der Autor
Prof. Dr. rer. nat. Peter Berthold (Jahrgang 1939) ist ein international renommierter Ornithologe,Ökologe und Naturschützer. Seit 1955 arbeitet er an der Vogelwarte Radolfzell, heute Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie, und war von 1998 bis zu seiner Emeritierung 2004 Direktor. Sein wissenschaftliches Werk umfasst über 450 Publikationen und wurde vielfach ausgezeichnet. Seine Hauptwerke im Naturschutz sind die Initiierung des »Biotopverbundes Bodensee« und die bundesweite Aktion »Jeder Gemeinde ihr Biotop«. |
Das Buch
Peter Berthold: Hilfeschrei der Natur! Was wir noch tun können - Die letzte Chance für unsere geschundene Erde. Hardcover, 208 Seiten, ca. 230 Abbildungen Frederking & Thaler Verlag · ISBN: 978-3-95416-304-5 Preis 34,99 € [D] 36,00 € [A] sFr. 46,50 |