Pflanzenpower in der Fußball-Bundesliga
Nahezu wöchentlich erreichen uns neue Meldungen mit immer ein- und demselben Thema: Schon wieder hat sich ein Fußballer aus dem Bundesliga-Zirkus geoutet und vegane Ernährungsweise als Ursache für seine Leistungsexplosion angegeben. Was ist da los im knallharten Männer-Sport , bei dem sich alles ums Leder dreht und dieser Pflanzen-Kult doch eigentlich so gar nicht rein passt? Um mehr darüber zu erfahren, werfen wir doch einen Blick ins Tagebuch eines veganen Ernährungsberaters, um Licht ins Dunkel zu bringen.
Von Sebastian Marcard, Personaltrainer
Sebastian Marcard betreut als Ernährungs-, Mental- und Athletik-Coach vor allem Fußballer auf Bundesliga- oder Jugend-Bundesliga-Niveau. |
Montag
Rückblick ist angesagt: Vier Siege, drei Unentschieden, zwei Niederlagen. Ganz okay, aber mit Luft nach oben. Die Bilanz meiner kickenden Edeltalente, die sich in der Bundesliga oder Jugend-Bundesliga tummeln, kann sich sehen lassen. Die ersten kurzen Telefonate, Feedbacks oder Sprachnachrichten wurden zwar schon direkt nach dem Spiel ausgetauscht, doch nun geht es in die Vorbereitung der neuen, englischen Woche - bekanntlich ist nach dem Spiel vor dem Spiel.
Während des morgendlichen Kaffees schweift mein Blick auf die neueste Ausgabe der männlichen Lieblings-Lektüre, den Kicker . Ein Artikel fällt sofort auf: Kraftfutter statt schwerer Kost . Die Neugier des gerade Buchweizen-Müsli mit Mandelmilch und Datteln speisenden Lesers ist geweckt. Gleich eine Doppelseite in Deutschlands Elite-Soccer-Magazin wird meinem Passions-Thema gewidmet: Ernährung als entscheidender Faktor für den Erfolg, doch die Spieler müssen sensibilisiert werden... , lautet die kursiv geschriebene Hauptthese. Messi, Ronaldo, Süle, Goretzka, Aubameyang, Götze und Khedira - das Who is Who des europäischen Spitzenfußballs wird aufgeführt. Leipzig, Dortmund, Frankfurt, Schalke, München, Hannover, Gladbach, Liverpool, Turin, Barcelona, Madrid und unsere DFB-Elite wird zitiert - bei allen steht das Thema Ernährung ganz oben auf der Prioritätenliste. Von eigens installierten Ernährungsberatern und Spitzenköchen wird berichtet - was fehlt (oder eben auch nicht!): Fleisch & Fisch! Nahezu kein Wort verlieren Autor und Interviewte über tierisches Protein - stattdessen wird von Kichererbsen, Linsen, Quinoa, Buchweizen, Amaranth und Hirse berichtet. Während es vor kurzem noch hieß die Bifi muss mit! , sind nun Macadamia, Datteln und Riegel aus Lupinen und Chia-Samen in des Kickers Sporttasche. Statt zuckerhaltiger Energydrinks sind Kokoswasser und Rote-Beete-Saft die Durststiller Nummer eins. Immer wieder fallen die
Stichworte: Regeneration, Erholung, Säure-Basen-Haushalt, gesunder Darm, verringertes Verletzungsrisiko, optimales Leistungsvermögen, etc. ...
Zufrieden und glücklich wird das Kicker-Magazin beiseite gelegt. Da haben einige sehr viel verstanden! Vielen Dank an die Autorin Jana Wiske und Dr. med. Mosetter für seine Ausführungen. Das Telefon klingelt fünf Mal, jedes Mal die gleiche Frage und Antwort: Coach, hast du schon den Kicker gelesen... die machen ja vieles wie wir... echt cool, das motiviert... hast du noch ein paar Tipps für mich...? Besser kann die Woche nicht starten.
Dienstag
Die Vorbereitung für das Auswärtsspiel in der hanseatischen Landeshauptstadt steht an. Ein relativ neuer Spieler, es gilt Vertrauen zu schaffen. Am vergangenen Wochenende wurde verloren. Leider befindet man sich mitten im Abstiegskampf und als frisch im Sommer verpflichteter Stürmer stehen noch kaum Tore oder auch nur Assists in der Statistik. Daher der Wunsch nach mehr Energie, mehr Power, Unterstützung vom Ernährungsberater. Wie es bislang so ernährungstechnisch ablief? Es wird viel von weißen Nudeln, Milchreis, Schnitzel und diversen Fast-Food-Loadings an den Autobahnraststätten berichtet. Durchaus also noch Luft nach oben!
Im Erstgespräch werden die zahlreichen Vorteile von veganer Ernährung für den Spitzensport erläutert. Überraschend zeigt sich der ehemalige Wiener-Junge und somit von Kindesbeinen auf mit dem Stadt-Schnitzel aufgewachsene Profi interessiert und wissbegierig. Eigenes Essen (zubereitet von der aufmerksamen Freundin) für die lange Anreise (in der zweiten Liga wird noch mit dem Bus angereist), spezieller Plan fürs Abendessen, eigenes Müsli zum Frühstück, eigene Riegel als Zwischenmahlzeit und Datteln für die Halbzeitpause. Etwas Eigeninitiative ist also gefordert - vorbei sind die Zeiten, in dem die Power fürs Spiel dem Zufall überlassen wird. Minutiös ausgeplante Ernährungspläne sind Pflicht - die richtigen Makro- und Mikro-Nährstoffe zur richtigen Zeit - so lautet das Erfolgskonzept.
Mittwoch
Ein spannendes Thema dient der eigenen Fortbildung: der Schlaf. Am einfachsten zu bekommen, am günstigsten zu erwerben - der schlichtweg effizienteste und effektivste Preis-Leistungs-Sieger. Dennoch stark vernachlässigt und massiv unterschätzt! Nicht nur der vernachlässigte Konsum - vor allem die mangelhafte Vorbereitung sind das Thema.
Was ist das Besondere an gutem Schlaf? Guter Schlaf spielt (mit) die größte Rolle in der Regeneration, führt zu mehr Erfolg im Training und ist für die Gesundheit und für die Leistungsfähigkeit unabdingbar. Die regenerativen Prozesse im Körper finden hauptsächlich im Schlaf statt. Gut schlafen klingt meist einfach, ist es aber nicht.
Was ist guter Schlaf? Du gehst vor 23 Uhr ins Bett und schläfst innerhalb von fünf Minuten ein. Du schläfst mindestens acht Stunden (durch) und wachst morgens zwischen 6 und 8 Uhr auf und bist direkt fit und leistungsfähig.
Warum sollte ich vor 23 Uhr ins Bett gehen? Der Schlaf vor Mitternacht ist entscheidend für die Regeneration der Nebenniere und der Vesikel des Gehirns und damit der körperlichen und kognitiven Leistungsfähigkeit. Zwischen 23 und 3 Uhr wird mit Abstand am meisten vom Schlafhormon Melatonin produziert. Dieses Hormon ist superwichtig für die Regeneration und Reparation von Zellen, Muskeln etc. Melatonin wird aber im Wesentlichen nur im Schlaf produziert bzw. in Dunkelheit. Sobald Lichtquellen vorhanden sind, wird deutlich weniger produziert, was die Regeneration sofort verschlechtert.
Was muss ich im Vorfeld beachten/tun, um gut zu schlafen? Idealerweise drei Stunden vor dem Schlafengehen die letzte große Mahlzeit. Das ist gerade im Leistungssport nicht immer möglich, daher abends alternativ in zwei kleinere Mahlzeiten splitten. Darauf achten, dass energieschonend gegessen wird. Und hier kommt ein weiterer großer Vorteil der veganen Ernährungsform ins Spiel: Obst (abends mit Vorsicht zu genießen - wenn nur Beeren) und Gemüse sind wesentlich schneller verdaut (zwei bis vier Stunden) als Fleisch (zehn Stunden). Somit kann sich der Körper auf die wesentliche Aufgabe des Schlafs (Regeneration & Reparation) fokussieren und muss nicht unnötig Energie für die Aufbereitung der Mahlzeit verschwenden. Zudem sind tierische Produkte in der Regel stark sauer und somit potentielle Entzündungsförderer - anstatt Entzündungen basisch zu bekämpfen , auch durch hervorragende Antioxidantien, welche zum Beispiel im Ingwer enthalten sind. Zu guter Letzt eine Stunde vor dem Schlafengehen (also ca. 22 Uhr) Lichtquellen wie Laptop, PC, Fernseher, Handy etc. ausschalten. Was häufig zusätzlich hilft, ist rund 30 Minuten vor dem Schlafen gehen Magnesium nehmen. Magnesium senkt die Muskel- & Gehirnaktivität, hat schlaffördernde Effekte und unterstützt die Muskelentspannung und vielerlei Regenerationsprozesse. Übrigens: Der fünffache Weltfußballer Cristiano Ronaldo nutzt einen eigens engagierten Schlaftrainer - dies verdeutlicht den hohen Stellenwert des Schlafs im Profisport!
Zum erfolgreichen Abschluss des Tages das Spielergebnis bei Hamburgs Kiez Club: 3:2 gewonnen, ein Tor geschossen, eins vorbereitet. Spieler und Ernährungscoach sind happy!
Donnerstag
Ein Termin, auf den ich mich sehr freue: Zwei Mütter, deren Söhne frisch ins Fußball-Internat gewechselt sind, wollen sich mit mir über die Möglichkeiten der Unterstützung in Ernährungsfragen austauschen. Ich bin begeistert, wie offen meine Ausführungen zu den mannigfaltigen Vorteilen veganer Lebensweise aufgenommen werden. Fast kommen wir vom eigentlichen Thema des Treffens ab, denn die Mütter sind vollauf motiviert: Oh, das ist ja auch was für mich, so kann ich ja mühelos einige überschüssige Pfunde loswerden und meiner Gesundheit gleichzeitig noch was Gutes tun! Die andere will meine Anregungen sofort aufnehmen, um ihrer immer wieder auftretenden Hautprobleme Herr bzw. Frau zu werden.
Doch zurück zum Thema. Leicht ist es für die Jungs im Internat nicht, sich gesund oder gar leistungssportgerecht zu ernähren. Nicht nur die Geschwindigkeit mit dem Ball ist der Fokus - auch die Schnelligkeit der Lebensmittelzubereitung: Fast Food! Alles wird vorserviert, wenig Auswahl und kaum ein Entkommen: Wer morgens vor dem Spiel nicht bereit ist, (Weizen-)Spaghetti Bolognese zu konsumieren, steht nicht in der Startformation. Was auf den Tisch kommt, wird gegessen , so lautet das harte Diktat der Vereinsführung. Puh, dass somit sofort ein Insulin-Teufelskreis gestartet und nahezu eine Verletzung provoziert wird, schockiert. Ist aber leider nach wie vor ein bekanntes Prozedere in der Szene: Nudelparty in der Vorbereitung, das Restaurant zum goldenen M oder ähnliche in der Nachbereitung. Es soll halt immer schnell gehen...
Was mich riesig freut, ich zu dem Zeitpunkt aber noch nicht wissen kann: Die Mütter haben eine Initiative gestartet, zukünftig gibt es nun Buchweizen-Nudelsalat mit reichlich Gemüse und Chiasamen als Superfood drin. Die Mütter stehen um fünf Uhr auf und kochen für die ganze Mannschaft.
Eine kleine Freudenträne rollt mir über die Wangen - da wird es zur Nebensache, dass der kleine schwäbische Bundesliga-Provinz-Verein den übermächtigen Münchner Bayern ein
Unentschieden abringen konnte.
Wer Muskeln bekommen will,
braucht Proteine. Die meisten Menschen glauben, dazu bräuchte es tierisches Eiweiß, wie Rindfleisch, Hühnerfleisch oder Milchprodukte. Inzwischen zeigen ernährungswissenschaftliche Studien: Pflanzliche Proteine, zum Beispiel aus Hülsenfrüchten wie Linsen, Soja, Kichererbsen oder Lupinen können genauso gut Muskeln aufbauen. Der übermäßige Verzehr von tierischem Protein wird schon seit Jahren mit Gesundheitsrisiken in Verbindung gebracht. Mehrere Studien kamen zu dem Schluss, dass Menschen, die viel Fleisch, Käse und Milch konsumieren, ein höheres Risiko für ernährungsbedingte Krankheiten haben. Eine große Ernährungsstudie der Harvard Medical School hat 2016 eindrücklich gezeigt, dass ein Mehrverzehr pflanzlicher Proteine die Sterblichkeit deutlich senken kann. Pflanzliche Proteine sind außerdem gut für Cholesterinspiegel und Blutdruck.
Freitag
Social-Media. Irgendwie so eine Hassliebe. Introvertiert bin ich gewiss nicht, und an Selbstbewusstsein fehlt es ebenso wenig - aber alles an die Öffentlichkeit zu senden? Aber wer nicht täglich bei Youtube, Facebook und Instagram erscheint, geht schnell unter, beziehungsweise tritt gar nicht erst in Erscheinung. Da es grundsätzlich meine Tugend ist, das Glas als halbvoll anstatt halbleer anzusehen, nutze auch ich diese Möglichkeit zum - nennen wir es einmal - Selbststudium sehr gerne. Die Kunst ist es, wie immer, die Guten von den Schlechten zu trennen. Es gibt viele verdammt Gute und deren noch bessere Vlogs & Blogs. Die Möglichkeiten der Vernetzung und der Austausch helfen enorm. Es ist schön mit anzusehen, wie vegane Kollegen, Köche und Restaurants entstehen, wachsen und gedeihen. Die Bundesliga-Profis und deren Köche sind stolz, wenn sie ihr #vegan (Hashtag vegan) auf Bildern oder kurzen Videos ihren Followern präsentieren können. Vorbei sind die Zeiten mit Pics vom Edel-Italiener -nun sehen wir die veganen Restaurants & Cafés und ihre liebevoll gestalteten Menüs professionell inszeniert. Alles wirkt schnell wie ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl, eine familiäre Bewegung. Eine schrecklich vegane Familie eben. Und die Nachwuchs-Bundesliga-Talente eifern ihren Idolen nach - endlich funktioniert das Vorbildsprinzip perfekt!
Samstag & Sonntag
Matchdays. Nun wird aus Theorie Praxis, Bolzplatzhelden sind gesucht und gefunden. Spannung, Nervenkitzel, Glück, Pech, Sieg, Niederlage - das komplette Gefühlschaos. Das ist es, warum wir das Spiel, wo das Runde ins Eckige soll und wir den Sand nicht in den Kopf stecken dürfen (Zitat Lothar Matthäus, Kapitän der DFB-Weltmeisterelf 1990), so lieben und Woche für Woche die Fans in die Stadien und der einfache Mann (und Frau) auf den Dorfsportplatz pilgert.
Während ich vom Parkplatz zum Eingang der Tribünen schlendere und meine Ohren die ersten Fangesänge vernehmen, fällt der Blick auf die vielen Imbissbuden. Millionenfach gehen hier deutschlandweit Jahr für Jahr Stadion-Würste im nationalen Wettstreit ( Wer brät die Beste? ) über die Theke. Ich bin gespannt: Wann wird wohl meine erste vegane Stadion-Rote (Fußballwurst im Süden) möglich sein? Seid mutig - eure/unsere Idole auf dem grünen Rasen machen es euch/uns doch vor!
Das Handy klingelt, am anderen Ende ist ein befreundeter Spielerberater am Apparat: Unser Lieblings-Stürmer vom Bundesliga-Club aus der schwäbischen Landeshauptstadt is(s)t nun vegan! Der perfekte Abschluss einer spannenden Woche und Ansporn für die kommende!