Interview mit Prof. Dr. Josef H. Reichholf
»Wir dürfen keine Vogelart mehr verlieren - keine einzige!«
FREIHEIT FÜR TIERE: Herr Prof. Reichholf, in Ihrem Buch »Vögel auf Instagram« zeigen Sie mit faszinierenden Bildern aus aller Welt die Schönheit der Vogelwelt. Doch die wunderschönen Bilder sind mit einem dramatischen Appell verbunden. Sie schreiben: Wir dürfen keine einzige Vogelart mehr verlieren - keine einzige! Was müsste aus Ihrer Sicht dafür dringend geschehen?
Josef H. Reichholf: Von der direkten Ausrottung bedroht sind insbesondere Vogelarten tropischer Wälder und Inseln. Ihre Vernichtung wird von uns mitfinanziert über die Entwicklungshilfe. Daher müssten sofort alle Projekte, die Steuergeld direkt oder indirekt enthalten, auf den Prüfstand. All jene sind unverzüglich zu stoppen, die Arten bedrohen, nicht nur Vogelarten, sondern die Biodiversität ganz allgemein. So gut wie nie würde dies arme, landlose und hungernde Menschen treffen. Nicht sie, sondern die internationalen Entwicklungsprojekte, die vielfach eine Fortsetzung kolonialer Ausbeutung mit anderen Mitteln sind, vernichten Arten und beeinträchtigen die Zukunft der Erde.
Deutschland, das bekanntlich so gerne die »Vorreiterrolle« einnehmen will, sollte Flächen in der Tropenwelt anpachten oder kaufen, um sie den Menschen und der Natur zu erhalten, anstatt sie auszubeuten. Vom Pachtgeld kann die örtliche Bevölkerung direkt und anhaltend versorgt werden, ohne weichen zu müssen, und ausgebildet werden zu Hütern ihrer Natur.
Parallel dazu sind entsprechende Maßnahmen bei uns nötig: Keine Einfuhr mehr von Futtermitteln aus Tropenländern. Es darf nicht länger sein, dass unser Stallvieh letztlich tropische Lebensvielfalt auffrisst, weil bei uns so exorbitant hohe, aus der Eigenleistung unserer Natur nicht zu ernährende Viehbestände gehalten werden. Wir wissen längst, dass die Landwirtschaftsförderung mit Steuergeldern die bäuerliche Landwirtschaft vernichtet und nur wenigen Großen zugute kommt. Nach Jahrzehnten von Butterbergen, Milchseen, Getreideschwemme und Verbrennung von Getreide als Heizmaterial sowie der Umwidmung riesiger landwirtschaftlicher Nutzflächen zur Energieerzeugung ist das Argument: Wir müssen doch für unsere Ernährung sorgen längst blanker Hohn für all die kleinen Landwirte, die auf der Strecke geblieben sind.
Ein Drittel der Erzeugnisse wird zudem weggeworfen. Also sind die Produkte mindestens um diesen Anteil zu billig.
FREIHEIT FÜR TIERE: Auch wenn es wie der Tropfen auf den heißen Stein scheint: Was kann jeder Einzelne für Vögel tun?
Josef H. Reichholf: Zwei Aktivitäten sind allen bei uns möglich, nämlich beim Einkauf auf Herkunft und Erzeugungsart der Produkte zu achten und sich im kommunalen Bereich dafür aktiv einzusetzen, dass die so maßlos überzogene, vernichtende Pflege von nicht landwirtschaftlich genutzten Flächen stark eingeschränkt wird. Der kommunale Bereich vernichtet weit mehr Insekten mit der maschinellen, viel zu häufig vorgenommenen Pflege , damit eben alles gepflegt aussieht , als gewonnen werden kann über Blühstreifen an den Feldern und sonstige - meist subventionierte - Maßnahmen im Agrarbereich. Pflege soll behutsam vorgenommen und auf das wirklich Nötige beschränkt werden, und nicht, damit sich teure Spezialgeräte rechtfertigen.
Wer einen Garten hat, kann diesen sehr naturnah gestalten bzw. sich entwickeln lassen. Die Reaktion der Vogelwelt wird umgehend sichtbar sein.
FREIHEIT FÜR TIERE: Es geht Ihnen als Zoologe und Ökologe ganz persönlich nicht nur um die Vögel. Schon 2004 zeigten Sie in Ihrem Buch Der Tanz um das goldene Kalb , welch katastrophale Folgen die industrielle Massentierhaltung für unseren Planeten hat. Nicht nur für das Klima: Schon damals schrieben Sie, dass die industrielle Landwirtschaft mit Abstand der Artenkiller Nr. 1 ist. Wie sieht es heute, fast zwei Jahrzehnte später, aus?
Josef H. Reichholf: Es hat sich seither nicht nur nichts gebessert, sondern Vieles ist schlimmer geworden. Die Landwirtschaft ist weiterhin so privilegiert, dass sie de facto von nahezu allen Bestimmungen und Beschränkungen ausgenommen ist, die der Gesellschaft angeblich im Interesse der Umwelt auferlegt wurden.
Die vielen Befunde zum Rückgang der Insekten, zum Schwinden der Vögel und zur Belastung von Grundwasser, Bächen und Flüssen bis hin zu den Hochwasserkatastrophen der letzten Zeit bestätigen dies in aller Deutlichkeit. Die Vertröstung, dass nun endlich etwas gegen den Klimawandel getan wird , ist für die von den Hochwässern Betroffenen ein Schlag ins Gesicht, weil das im Klartext heißt, dass nichts getan wird.
Man will bloß die Zeichen nicht sehen, um weitermachen zu können, wie bisher. Die Zeichen setzen auch, höchst deutlich, die Vögel mit ihrem Verschwinden. Rachel Carson hatte vor mehr als einem halben Jahrhundert vor dem Stummen Frühling gewarnt. Er ist bei uns auf den Fluren längst Wirklichkeit geworden.
FREIHEIT FÜR TIERE: Bereits im Jahr 2005 haben Sie in Ihrem Buch Die Zukunft der Arten erneut vor den dramatischen Folgen der Naturzerstörung und des von Menschen gemachten Artensterbens gewarnt. Damals schrieben Sie, dass die wirklichen Feinde der Artenvielfalt zwar längst erkannt seien, sich aber kaum jemand heranwage: Artenfeind Nr. 1 sei mit großem Abstand die industrielle Landwirtschaft, Artenfeind Nr. 2 die Jagd. Auch daran hat sich leider nichts geändert, oder?
Josef H. Reichholf: So ist es. Dass nach wie vor Millionen Vögel nur zum Spaß geschossen werden, ja; dass es bei uns überhaupt noch Vogeljagd gibt, gehört zu den großen Niederlagen des Naturschutzes.
Dabei hatte das so erfolgreiche Bayerische Volksbegehren Rettet die Bienen! gezeigt, wie gut sich die Bevölkerung für die Erhaltung der heimischen Natur mobilisieren lässt.
Mit der Rettung des Klimas wird bei uns nichts gerettet; im Gegenteil. Noch nie wurde bei uns so viel Natur vernichtet, wie unter dem Deckmantel des Klimawandels.
FREIHEIT FÜR TIERE: Was möchten Sie den Leserinnen und Lesern von Freiheit für Tiere noch sagen?
Josef H. Reichholf: Erstens, dass ich liebend gerne Unrecht hätte mit meinen Einschätzungen, und zweitens, dass man nicht aufgeben darf. Resignation kommt nur den Gegnern zugute. Deshalb kämpfe auch ich weiter für die Natur, so lange ich kann.
Das Interview mit Prof. Dr. Josef H. Reichholf führte Julia Brunke, Redaktion FREIHEIT FÜR TIERE: